Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Stimmung in Preußen. 393 
doch anders als Gneisenau in seinem heiligen Eifer meinte. Der Krieg 
für das Recht der Nationen verlangte nationale Heere; die Bastards— 
bildung der deutsch-russischen Legion blieb ein Gemisch aus edlen und 
gemeinen Elementen, sie hat weder im russischen noch im deutschen Kriege 
eine bedeutende Rolle gespielt. Der König nahm die Abschiedsgesuche sehr 
unwillig auf. Clausewitz und noch Mehrere der Ausgeschiedenen konnten 
nachher nur mit Mühe den Wiedereintritt in die Armee erlangen; wie 
oft haben noch in späteren Jahren die Gegner der Reformpartei den 
Monarchen geflissentlich daran erinnert, daß einige der nächsten Freunde 
Scharnhorst's und Gneisenau's nicht bei der Fahne geblieben waren. 
Napoleon hatte noch immer keine Ahnung von der ungeheuren Um— 
stimmung des deutschen Volkes. Vergeblich warnten ihn Davoust und 
Rapp und selbst sein allezeit lustiger Bruder Jerome. Er erwiderte ver— 
ächtlich: „was soll denn zu fürchten sein von einem so maßvollen, so 
vernünftigen, so kalten, so duldsamen Volke, einem Volke, dem jede 
Ausschreitung so fern liegt, daß noch niemals einer meiner Soldaten 
während des Krieges gemordet wurde?“ Graf Narbonne aber, der sich 
mitten im Gefolge des Imperators noch ein Gefühl für Recht und 
Scham bewahrt hatte, sagte voraus, diese gezwungene preußische Freund— 
schaft könne nicht dauern; wie dürfe man Treue fordern von einem 
Bundesgenossen, den man in seiner eigenen Hauptstadt bewache? In der 
That blieb das herzliche Einvernehmen zwischen dem Könige und dem 
Czaren auch nach dem Februar-Vertrage ungestört. Alexander versagte 
sich's freilich nicht in einem salbungsvollen Briefe das Betragen des 
preußischen Hofes, das doch von ihm selber verschuldet war, zu beklagen; 
indeß ließ er dem Staatskanzler durch Graf Lieven vertraulich eröffnen, 
daß seine Freundschaft unwandelbar dauere.“') Beide Theile hofften 
auf die Zeit, da ihr natürliches Bündniß sich wieder schließen würde. 
Auch die Hofburg gab dem Petersburger Hofe beruhigende Erklärungen, 
sie stand jetzt im Kriege sogar freundlicher mit dem Czaren als vorher 
im Frieden, weil Alexander seine polnischen Pläne vorläufig aufgegeben 
hatte; die diplomatische Verbindung zwischen Wien und Petersburg wurde 
niemals gänzlich abgebrochen. Die beiden deutschen Höfe aber traten 
unter sich und mit England in lebhaften geheimen Verkehr. 
Im Mai hielt der Nachfolger der Karolinger seinen dritten großen 
Hoftag auf deutschem Boden, glänzender noch als einst in Mainz und 
Erfurt. Während die Regimenter der großen Armee in unendlicher 
Reihe über die Elbbrücke zogen, versammelten sich Deutschlands Fürsten 
im Dresdener Schlosse um ihren Beherrscher: unter ihnen der vormals 
deutsche Kaiser und der Nachfolger des großen Friedrich. Wie that es 
dem Plebejer wohl, die Nacken seiner hochgeborenen Diener recht wund 
zu reiben unter seinem Joche! Er spielte selber den Wirth im Hause 
*) Hardenberg's Tagebuch 11. März 1812. 
 
	        
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