400 I. 3. Preußens Erhebung.
Patrioten, die ihn in Petersburg umgaben, allesammt Norddeutsche waren,
so glaubte er noch immer nicht recht an die kriegerische Leidenschaft dieser
kalten und langsamen Stämme.
Gleichviel welcher Theil des Vaterlandes sich zuerst erhöbe — daß
der Krieg wie ein reißender Strom über die deutschen Grenzen hinein-
fluthen müsse, verstand sich dem Reichsritter von selber. Für diesen Ge-
danken suchte er den Czaren zu gewinnen, und er fand leichtes Spiel.
Alexander war in tiefster Seele erschüttert; in dem Rausche des Sieges
traten alle edlen und alle phantastischen Züge seiner Natur zu Tage.
Vor Kurzem noch hatte er die ungeheure Last der Sorge kaum zu tragen
vermocht, die Nachricht von dem Brande von Moskau hatte sein Haar
in einer Nacht gebleicht. Nun war Rußland befreit wie durch ein Wunder
des Himmels, nun fühlte er sich auserwählt durch Gottes Gnade, als
ein Heiland der Welt die geknechtete Erde von ihrem Joche zu erlösen;
nichts billiger darum als ein reicher Lohn für den Weltbefreier. Sofort
nahm er seine polnischen Pläne wieder auf, doch in aller Stille; sein
deutscher Rathgeber erfuhr kein Wort davon. Die Befreiung Deutsch-
lands sollte dem Czaren die Krone der Jagiellonen bringen; die Interessen
der Menschheit stimmten wieder einmal ganz wundersam mit den dynasti-
schen Wünschen des Hauses Gottorp überein! Schon im November war
Alexander so gut wie entschlossen seine Waffen nach Deutschland zu tragen.
Der Kanzler Rumjanzow, der die Politik der freien Hand vertrat, verlor
allen Einfluß; der deutsche Freiherr behauptete sich in der Gunst des
Czaren und zeigte bereits in einer Denkschrift der russischen Regierung
die Mittel, welche ihr nachher ermöglichten, vierzig Millionen Rubel
Papiergeld in Deutschland umzusetzen und also den Krieg fortzuführen.
Wunderbar doch, wie sicher der große Patriot den springenden Punkt
in der Lage der Welt — die Nothwendigkeit der deutschen Schilderhebung
— herausfand, und wie gröblich er sich in allem Einzelnen irrte. Er
kannte weder die Schwäche der russischen Streitkräfte, noch die bedacht-
same Aengstlichkeit des Wiener Hofes, weder die Unfähigkeit des englischen
Tory-Cabinets, noch den stumpfen Particularismus der Völkchen in den
deutschen Kleinstaaten, die nirgends daran dachten, sich wider den Willen
ihrer Dynastien zu erheben. Doch am allerwenigsten kannte er den hei-
ligen Zorn, der in den Herzen der Preußen kochte, und die stillen Hoff-
nungen, womit ihr König sich trug; eben dieser Staat, den der Freiherr
sich nur im Schlepptau der anderen Mächte denken konnte, sollte den An-
stoß geben zu dem europäischen Kriege. Hardenberg hatte sich während
des Sommers bemüht das Einverständniß mit Oesterreich zu befestigen
und deshalb im September den Flügeladjutanten von Natzmer nach Wien
gesendet. Der Bevollmächtigte fand in Wien eine überaus freundliche
Aufnahme. In seinem Antwortschreiben betheuerte Metternich mit Wärme,
er vermöge die Interessen der beiden Staaten nicht von einander zu trennen;