Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

428 I. 4. Der Befreiungskrieg. 
schluß der Verhandlungen geringen Werth auf jene Ziffern, doch sie bil— 
deten bei den späteren Verträgen mit England den Maßstab für die Sub— 
sidien; sie wurden also für die ohnedies zerrütteten Finanzen Preußens 
sehr schädlich und sie erregten in der diplomatischen Welt den Glauben, 
als ob Preußen nur die Hilfsmacht Rußlands sei. 
Allerhand geringfügige Umstände haben diesen schlimmen Schein ge— 
fördert. Das russische Heer glänzte von jeher durch eine Ueberzahl mit 
Orden beladener Generale; das verarmte Preußen ließ seine Brigaden 
durch Obersten, seine Regimenter durch Majore führen; daher fiel, wenn 
ein Zusammenwirken der Alliirten nöthig ward, der Oberbefehl fast immer 
in russische Hände. Auch die schüchterne Zurückhaltung des Königs, der 
so willig neben der glänzenden Erscheinung des Czaren verschwand, ja 
selbst seine edle soldatische Einfachheit war für Preußens diplomatische 
Stellung nachtheilig. Welch ein Abstand, wenn man den leichten Halb— 
wagen des Königs mit kleinem Gefolge daherrollen sah, und nachher den 
ungeheuren Wagentroß des Czaren oder gar die vielen tausende von 
Mauleseln, welche das Gepäck des Kaisers Franz mitsammt dem berüch— 
tigten k. k. Leib-Grenadier-Streichquartett schleppten! Der Staat, in dessen 
Heere die sittliche Kraft des großen Krieges lag, erschien vor den Augen 
der Diplomatie wie eine Macht zweiten Ranges neben den beiden Kaiser— 
höfen, und in den verwickelten Verhältnissen eines Coalitionskrieges ist 
der Schein der Macht fast ebenso werthvoll wie die Macht selber. — 
Es war die höchste Zeit, daß die Ungewißheit ein Ende nahm. Wäh— 
rend Knesebeck in Kalisch zauderte, geriethen die zwischen den kriegführen— 
den Parteien eingeklemmten preußischen Generale aus einer falschen Stel— 
lung in die andere. Die Russen drangen westwärts vor, sehr langsam 
freilich, da sich die Unzulänglichkeit ihrer Streitkräfte mit jedem Tage 
deutlicher herausstellte. Erst zu Anfang Februars erschienen die ersten 
Kosaken in der Neumark. Ueberall nahm das Volk die wildfremden 
Bundesgenossen mit offenen Armen auf. Welcher Jubel, wenn der Basch— 
kire seinen Bogen und seine Pfeile betasten ließ, wenn der bärtige Kosak, 
den Mantel behangen mit Ehrenlegionskreuzen und den Fetzen französi— 
scher Uniformen, seine Reiterkünste zeigte; glückselig jeder deutsche Junge, 
den die gutmüthigen Kinderfreunde auf ihren Kleppern aufsitzen ließen. 
Alle Welt sang das neue Lied „Schöne Minka, ich muß scheiden“, das 
ein gefühlvoller Sohn der Steppe am Ufer des blauen Don gedichtet 
haben sollte. Besorgte Mütter hielten es freilich für nöthig ihre Kleinen, 
wenn sie von den Fremden abgeküßt waren, in die Badewanne zu stecken, 
und als man mit den diebischen Neigungen dieses Kindervolkes näher 
bekannt wurde, erkaltete die Begeisterung ein wenig. 
Mit Sorgen sah York den Vormarsch der Russen; er fühlte, daß 
man die Befreiung der Marken nimmermehr den Fremden allein überlassen 
durfte, und brach mit seinem Corps auf um die Weichsel zu überschreiten.
	        
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