434 J. 4. Der Befreiungskrieg.
ausgehobenen Wehrmänner vom Sammelplatze sogleich zu einer kirch-
lichen Feier geführt wurden. In jeder Kirche des Landes sollte eine
Gedächtnißtafel die Namen der ruhmvoll gefallenen Söhne der Gemeinde
bewahren. Schwer hatte die Hand des lebendigen Gottes auf den Bil-
dungsstolzen gelastet; ergeben und erhoben blickte dies neue Geschlecht
wieder mit festem Vertrauen zu „dem alten deutschen Gott“ empor und
hoffte mit seinem Dichter:
Wer fällt, der kann's verschmerzen,
Der hat das Himmelreich.
Als die ersten Freiwilligen nach Breslau zogen, sangen sie noch das
Reiterlied der Wallensteiner. Bald aber schuf sich das Heer seine eigenen
Gesänge. Unversieglich wie einst den frommen Landsknechten floß den
neuen Wehrmännern der Quell der Lieder. Beim Ausmarsch klang es:
„Die Preußen haben Allarm geschlagen!“ und dann schlang sich ein dichter
Kranz kunstloser Volksweisen um jedes Erlebniß des langen Krieges, bis
zuletzt der fröhliche Zapfenstreich: „Die Preußen haben Paris genommen!“
noch einmal ein Zeugniß gab von der kriegsmuthigen und doch zugleich
tief innerlich friedfertigen Stimmung dieses Volkes in Waffen.
Alsbald ward es auch auf den Höhen des deutschen Parnasses le-
bendig. Nur der alte Goethe wollte sich zu der neuen Zeit kein Herz
fassen; verstimmt und hoffnungslos zog er sich von dem kriegerischen
Treiben zurück und meinte: „Schüttelt nur an Euren Ketten; der Mann
ist Euch zu groß!“ Doch wer sonst im Norden dichterisches Feuer in
den Adern fühlte, jauchzte auf „beim Anbruch seines Vaterlands“", wie
Fichte sagte. Was politisch gereifte Völker in der Presse, in Reden und
publicistischen Abhandlungen aussprechen, gewann in diesem Geschlechte,
dem die Dichtung noch immer die Krone des Lebens war, sofort poetische
Gestalt; und so entstand die schönste politische Poesie, deren irgend ein
Volk sich rühmen kann — eine Reihe von Gedichten, an denen wir
Nachkommen uns versündigen würden, wenn wir dies Vermächtniß einer
Heldenzeit jemals bloß mit ästhetischen Blicken betrachteten. An Kleist's
mächtige Gestaltungskraft reichten die Dichter des Befreiungskrieges nicht
heran; wer aber in der Poesie den Herzenskündiger der Nationen sieht,
wendet sich gleichwohl von jenen dämonischen Klängen des Hasses auf-
athmend hinweg zu den hellen und frischen Liedern, welche die Freude
des offenen Kampfes gebar. Welch ein Segen doch für unser Volk,
daß sein gepreßtes Herz wieder froh aufjubeln durfte, daß nach langem,
dumpfem Harren und Grollen wieder der Eidschwur freier Männer zum
Himmel stieg:
Und hebt die Herzen himmelan
Und himmelan die Hände,
Und schwöret Alle, Mann für Mann:
Die Knechtschaft hat ein Ende!