466 I. 4. Der Befreiungskrieg.
Gegen die Abtretung altpreußischer Gebiete sträubte sich das Pflicht-
gefühl des Königs. Er wollte zur Noth Hildesheim, das nur vier Jahre
lang preußisch gewesen, den Welfen überlassen, doch weder die getreuen
Ravensberger, noch das feste Minden, das der Kriegskunst jener Zeit als
der Schlüssel der Weserlinie galt. Auch als die welfischen Unterhändler
statt dessen die Abtretung von Ostfriesland vorschlugen, blieb der König
standhaft; es kam zu einem heftigen Auftritt zwischen ihm und dem Staats-
kanzler. Die Welfen mußten sich zuletzt begnügen mit dem Versprechen,
daß Preußen ihrem Stammlande eine Abrundung von 260—300,000
Seelen, einschließlich Hildesheim, verschaffen werde. Die Aussichten der
preußischen Diplomatie wurden von Tag zu Tag trüber; sie hatte neue
drückende Verpflichtungen übernommen und zum Entgelt wieder nur die
allgemeine Zusage erlangt, daß Preußen „zum mindesten“ ebenso mächtig
werden solle wie vor dem Kriege von 1806. Einen Tag darauf schloß
Rußland sein Kriegsbündniß mit England. Der Czar blieb für die Frie-
denswünsche seiner Generale wie für Napoleon's Anerbietungen ganz un-
zugänglich: der Ruhm des Weltbefreiers und die polnische Königskrone
standen so glänzend vor seiner Seele, daß er der Ermahnungen Stein's
jetzt kaum bedurfte, und der Kanzler Rumjanzoff, der alte Gegner der
Coalition, entmuthigt um Entlassung bat. Die preußischen Patrioten
fanden sich nach kurzer Verstimmung rasch wieder zusammen in der frohen
Gemeinschaft der unsichtbaren Kirche, wie Niebuhr zu sagen pflegte; sie
bemerkten bald, wie sehr die Waffenruhe der Ausbildung der Landwehr
zu gute kam. In Schlesien entfaltete Gneisenau im Verein mit dem
wackeren Präsidenten Merckel eine gewaltige Thätigkeit, so daß bei Ablauf
des Stillstands 68 Bataillone Landwehr formirt waren. Blücher schrieb
ihm zufrieden: „Landwehren sie man druff, aber wenn die Fehde wieder
beginnt, dann gesellen Sie Sich wieder zu mich!“
Wie diese Rüstungen, so bewiesen auch die Friedensvorschläge des
Czaren und des Königs, daß die Verbündeten nicht gesonnen waren auf
halbem Wege stehen zu bleiben. Sie verlangten: Wiederherstellung der
alten Macht von Preußen und Oesterreich, Auflösung des Rheinbundes
und des Herzogthums Warschau, Rückgabe der Nordseeküste, endlich die
Unabhängigkeit von Holland, Spanien und Italien. Es waren im We-
sentlichen die Pläne von Bartenstein; nur ein ungeheuerer Krieg konnte
sie verwirklichen. Ganz anders sah Kaiser Franz die Lage an. Ihm
graute vor diesem Kriege, vor dem Enthusiasmus der norddeutschen Ju-
gend; aus tiefster Seele hatte er seinem Schwiegersohne zu der Groß-
görschener Schlacht Glück gewünscht und die Hoffnung ausgesprochen, dies
erste Treffen werde viele Leidenschaften abgekühlt, viele Chimären zerstört
haben. Furchtbar war ihm der Gedanke, daß er die unmilitärischen Ge-
wohnheiten seines schläfrigen Schreiberlebens aufgeben und, wie die beiden
verbündeten Monarchen, in's Feldlager gehen sollte. Regungen der Zärt-