472 I. 4. Der Befreiungskrieg.
friedenslustigen französischen Nation seine Versöhnlichkeit beweisen zu kön-
nen. Als Metternich darauf ein Ultimatum stellte, das die Reichenbacher
Vorschläge in etwas schärferer Fassung wiederholte, gab der Imperator
eine im Wesentlichen ablehnende Antwort und ließ diese absichtlich zu spät
von Dresden abgehen, so daß sie erst am 11. August in Prag eintreffen
konnte. Der Waffenstillstand war abgelaufen ohne daß Frankreich die
Friedensbedingungen angenommen hatte. Mit dem letzten Glockenschlage
des 10. August erklärten Humboldt und Anstett, ihre Vollmacht sei er-
loschen, der Congreß beendigt. Die Verpflichtungen von Reichenbach tra-
ten nunmehr in Kraft, der Trotz Napoleon's hatte Oesterreich in das
Lager der Coalition getrieben.
Jener große europäische Bund, woran die Staatsmänner seit acht-
zehn Jahren immer vergeblich gearbeitet, jetzt stand er endlich in Waffen:
alle die vier alten Großmächte, mit ihnen Schweden und demnächst auch
die wiederbefreiten Staaten der iberischen Halbinsel. Und diesmal führte
nicht das Ungefähr diplomatischer Verwicklungen die Höfe zusammen,
sondern eine hohe Nothwendigkeit: es galt, die Freiheit der Welt, das
lebendige Nebeneinander der Nationen, worauf die Größe der abendlän-
dischen Gesittung beruht, wiederherzustellen. Wohl traten mit England
und Oesterreich zwei Mächte in das Bündniß ein, denen jedes Verständ-
niß abging für die Sehnsucht des norddeutschen Volkes. Sonderbar genug
stach die gewundene Sprache des österreichischen Kriegsmanifestes von dem
herzerwärmenden ehrlichen Tone der preußischen Aufrufe ab. Wie war
doch Gentzens reicher Geist in Wien verknöchert und verdorrt, daß er jetzt
mit byzantinischem Redeschwall den kaiserlichen Schwiegervater verherrlichte,
der, über gewöhnliche Bedenklichkeiten weit erhaben, für das heilige Interesse
der Menschheit hingegeben habe was seinem Herzen das Theuerste war! Auch
die bitteren Bemerkungen des Manifestes über die dem regelmäßigen Gange
der Regierungen zuvoreilenden ungeduldigen Wünsche der Völker ließen
ahnen, daß der Krieg durch Oesterreichs Theilnahme seinen Charakter ver-
ändern, manche Hoffnung der Patrioten in Enttäuschung enden würde.
Doch es stand nicht anders, ohne Oesterreichs Zutritt konnte die Coali=
tion sich gegen das Weltreich nicht behaupten. Der Ausgang des Prager
Congresses war ein großer diplomatischer Erfolg; Friedrich Wilhelm wußte,
daß er ihn gutentheils der Gewandtheit seines Staatskanzlers verdankte.
Erleichterten Herzens eilte Humboldt in jener verhängnißvollen Mitternacht
des 10. August auf den Hradschin um das verabredete Zeichen zu geben:
bald flammten die Fanale auf den Kuppeln der Riesenberge und trugen
noch in derselben Nacht nach Schlesien hinüber zu dem aufjubelnden
preußischen Heere die frohe Kunde, daß in sechs Tagen der Krieg von
Neuem beginne.