Die Entscheidung. 507
Reiterschaar aus Schwaben. Die Preußen und Russen nahmen die Flüch—
tigen mit Freuden auf; nur den württembergischen General Normann,
der einst bei Kitzen die Lützower verrätherisch überfallen hatte, wies Gnei—
senau mit verächtlichen Worten zurück. Friedrich Wilhelm's Ehrlichkeit
aber hielt den Vorwurf nicht zurück: wie viel edles Blut die Sachsen
dem Vaterlande ersparen konnten, wenn sie ihren Entschluß früher, vor
der Entscheidung, faßten! Der traurige Zwischenfall blieb ohne jeden Ein—
fluß auf den Ausgang der Völkerschlacht; doch warf er ein grelles Schlag—
licht auf die tiefe sittliche Fäulniß des kleinstaatlichen Lebens. Das Gewissen
des Volkes begann endlich irr zu werden an der Felonie des napoleo—
nischen Kleinkönigthums; trotz aller Lügenkünste particularistischer Volks—
verbildung erwachte wieder die Einsicht, daß auch nach dem Untergange
des alten Reichs die Deutschen noch ein Vaterland besaßen und ihm ver—
bunden waren durch heilige Pflichten.
Gegen 5 Uhr vereinigte Bülow sein ganzes Corps zu einem gemein-
samen Angriff, erstürmte Sellerhausen und Stüntz, drang am Abend bis
in die Kohlgärten vor, dicht an die östlichen Thore der Stadt. Da während-
dem auch Langeron auf der Rechten das hart umkämpfte Schönefeld end-
lich genommen hatte und ebenfalls gegen die Kohlgärten herandrängte, so
war Ney mit dem linken Flügel der Franzosen auf seiner ganzen Linie
geschlagen. Durch diese Niederlage ward Napoleon's Stellung im Centrum
unhaltbar. Noch am Abend befahl er den Rückzug des gesammten Heeres.
Nun wälzten sich die dichten Massen der geschlagenen Armee durch drei
Thore zugleich in die Stadt hinein um dann allesammt in entsetzlicher
Verwirrung auf der Frankfurter Straße sich zu vereinigen. Daß dieser
eine Weg noch offen blieb, war das Verdienst des unglücklichen Gyulay,
der auch am dritten Schlachttage auf der Westseite nichts ausgerichtet
hatte; bis zur Saale hin hielt Bertrand den Franzosen die Rückzugsstraße
frei. Die Hunderttausende, die beim Feuerscheine von zwölf brennenden
Dörfern auf dem theuer erkauften Schlachtfelde lagerten, empfanden tief
erschüttert den heiligen Ernst des Tages; unwillkürlich stimmten die Russen
eines ihrer frommen Lieder an, und bald klangen überall, in allen Zungen
der Völker Europas, die Dankgesänge zum Himmel auf. Die Sieger
beugten sich unter Gottes gewaltige Hand; recht aus dem Herzen der
fromm bewegten Zeit heraus sang der deutsche Dichter:
O Tag des Sieges, Tag des Herrn,
Wie feurig schien dein Morgenstern!
Nur der Feldherr, der von Amtswegen als der Besieger Napoleon's
gefeiert wurde, vermochte die Größe des Erfolges nicht zu fassen. Schwar-
zenberg weigerte sich die noch ganz unberührten russischen und preußischen
Garden zur Verfolgung auszusenden — nicht aus Arglist, wie manche
der grollenden Preußen annahmen, sondern weil sein Kleinmuth die Ge-
schlagenen nicht zur Verzweiflung treiben wollte. Blücher hatte den Tag