Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die Entscheidung. 507 
Reiterschaar aus Schwaben. Die Preußen und Russen nahmen die Flüch— 
tigen mit Freuden auf; nur den württembergischen General Normann, 
der einst bei Kitzen die Lützower verrätherisch überfallen hatte, wies Gnei— 
senau mit verächtlichen Worten zurück. Friedrich Wilhelm's Ehrlichkeit 
aber hielt den Vorwurf nicht zurück: wie viel edles Blut die Sachsen 
dem Vaterlande ersparen konnten, wenn sie ihren Entschluß früher, vor 
der Entscheidung, faßten! Der traurige Zwischenfall blieb ohne jeden Ein— 
fluß auf den Ausgang der Völkerschlacht; doch warf er ein grelles Schlag— 
licht auf die tiefe sittliche Fäulniß des kleinstaatlichen Lebens. Das Gewissen 
des Volkes begann endlich irr zu werden an der Felonie des napoleo— 
nischen Kleinkönigthums; trotz aller Lügenkünste particularistischer Volks— 
verbildung erwachte wieder die Einsicht, daß auch nach dem Untergange 
des alten Reichs die Deutschen noch ein Vaterland besaßen und ihm ver— 
bunden waren durch heilige Pflichten. 
Gegen 5 Uhr vereinigte Bülow sein ganzes Corps zu einem gemein- 
samen Angriff, erstürmte Sellerhausen und Stüntz, drang am Abend bis 
in die Kohlgärten vor, dicht an die östlichen Thore der Stadt. Da während- 
dem auch Langeron auf der Rechten das hart umkämpfte Schönefeld end- 
lich genommen hatte und ebenfalls gegen die Kohlgärten herandrängte, so 
war Ney mit dem linken Flügel der Franzosen auf seiner ganzen Linie 
geschlagen. Durch diese Niederlage ward Napoleon's Stellung im Centrum 
unhaltbar. Noch am Abend befahl er den Rückzug des gesammten Heeres. 
Nun wälzten sich die dichten Massen der geschlagenen Armee durch drei 
Thore zugleich in die Stadt hinein um dann allesammt in entsetzlicher 
Verwirrung auf der Frankfurter Straße sich zu vereinigen. Daß dieser 
eine Weg noch offen blieb, war das Verdienst des unglücklichen Gyulay, 
der auch am dritten Schlachttage auf der Westseite nichts ausgerichtet 
hatte; bis zur Saale hin hielt Bertrand den Franzosen die Rückzugsstraße 
frei. Die Hunderttausende, die beim Feuerscheine von zwölf brennenden 
Dörfern auf dem theuer erkauften Schlachtfelde lagerten, empfanden tief 
erschüttert den heiligen Ernst des Tages; unwillkürlich stimmten die Russen 
eines ihrer frommen Lieder an, und bald klangen überall, in allen Zungen 
der Völker Europas, die Dankgesänge zum Himmel auf. Die Sieger 
beugten sich unter Gottes gewaltige Hand; recht aus dem Herzen der 
fromm bewegten Zeit heraus sang der deutsche Dichter: 
O Tag des Sieges, Tag des Herrn, 
Wie feurig schien dein Morgenstern! 
Nur der Feldherr, der von Amtswegen als der Besieger Napoleon's 
gefeiert wurde, vermochte die Größe des Erfolges nicht zu fassen. Schwar- 
zenberg weigerte sich die noch ganz unberührten russischen und preußischen 
Garden zur Verfolgung auszusenden — nicht aus Arglist, wie manche 
der grollenden Preußen annahmen, sondern weil sein Kleinmuth die Ge- 
schlagenen nicht zur Verzweiflung treiben wollte. Blücher hatte den Tag
	        
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