Befreiung von Westphalen und Ostfriesland. 513
auf, nach dem Vorbilde dieser „wahren Hermannssöhne“ Freiwillige zu
stellen und eine Landwehr zu bilden. Auch in Cleve überall derselbe
jubelnde Empfang. Es war ein großes häusliches Fest, ein fröhliches
Wiedersehen lange getrennter Brüder, eine handgreifliche Widerlegung der
in den Kleinstaaten landläufigen Ansicht, daß dieses Preußen ein künst-
licher Staat sei. Nur unter dem Adel des Münsterlandes zeigte sich
wieder der alte pfäffische Haß gegen die preußischen Ketzer. Die Jugend
eilte frohlockend zu den Fahnen; am eifrigsten in den altpreußischen Ge-
bieten — wie ja noch bis zum heutigen Tage jene Striche Deutsch-
lands, die durch die harte Schule König Friedrich Wilhelm's I. gegangen
sind, die größte Bereitwilligkeit zum Waffendienste zeigen. In den meisten
Kreisen von Cleve und der Grasschaft Mark war eine förmliche Aus-
hebung nicht nöthig, da die Zahl der Freiwilligen den Bedarf über-
reichlich deckte. Selbst die Ostfriesen, denen König Friedrich die Befreiung
von der Cantonspflicht geschenkt hatte, überwanden den Widerwillen des
Seemanns gegen den Landdienst und stellten sich zahlreich. Ein Theil
der also in höchster Eile gebildeten Truppen konnte in der That noch
rechtzeitig zur Einschließung der französischen Festungen abgehen. Den
bibelfesten Markanern predigten die Pfarrer von dem eifrigen Herrn
Zebaoth, der sein Volk aufruft zum heiligen Kampfe; nach dem Kriege
ward auf den grauen Felsen über der Grüne ein Gedächtnißkreuz errichtet
mit der Inschrift: Und im Namen unseres Gottes warfen wir Panier
auf! Selbst der Landsturm kam mehrmals, öfter als im Osten, zur Ver-
wendung. Die ostfriesischen Landstürmer nahmen Theil an der Bela-
gerung von Delfzyl, die clevischen lagen wochenlang vor Wesel; in dem
altberühmten clevischen Dorfe Brünen, das schon im siebenjährigen Kriege
seine Treue erprobt hatte, trugen nach dem Frieden alle Männer die
Kriegsdenkmünze.
Merkwürdig aber, wie streng conservativ dies Volk sich zeigte sobald
es wieder sich selber angehörte: man wollte zurück zu der guten alten
Zeit, zu allen ihren Segnungen, auch zu ihrem Ständewesen. Ständische
Ausschüsse besorgten hier wie im Osten die Aushebung der Landwehr
unter der Oberleitung eines königlichen und eines ständischen Commissars.
Was Wunder, daß sich die alten Landstände sofort wieder als die recht-
mäßigen Vertreter des Landes fühlten. Alsbald nach der Befreiung be-
rief der Landesdirector von Romberg den Landtag der Grasfschaft Mark
ein: „die wohlthätige ständische Verfassung tritt wieder in Wirkung.“)
Dann wurde der Führer der altständischen Partei, Freiherr von Bodel-
schwingh-Plettenberg, zum Könige nach Frankfurt geschickt um die Freude
der Grafschaft über die Wiedervereinigung auszusprechen, aber auch die
*) Romberg's Rundschreiben an die Stände der Grasschaft Mark vom 22. No-
vember 1813.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 33