Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Das Hauptauartier in Langres. 539 
gierung Frankreichs — wer immer die Erbschaft des Entthronten antrat 
— einen entscheidenden Einfluß gewänne. 
Manche der österreichischen Staatsmänner hatten sich in die Schande 
jener Jahre so gemächlich eingelebt, daß ihnen der Todfeind des alten 
Europas bereits als die Stütze der öffentlichen Ordnung, seine Beseiti- 
gung als eine gefährliche revolutionäre Gewaltthat erschien. Derselbe Gentz, 
der vor neun Jahren vor der Anerkennung des napoleonischen Kaiser- 
thums gewarnt hatte, schrieb nun in schlotternder Angst: gestatte man den 
Franzosen die Berufung eines anderen Herrschers, so werde „der Grund- 
satz anerkannt, den man in unseren Zeiten ohne Zittern kaum aussprechen 
kann, daß es von der Nation abhänge, ob sie den wirklich regierenden 
Souverän toleriren will oder nicht. Dies Princip der Volkssouveränität 
ist ganz eigentlich der Angel, um welchen alle revolutionären Systeme sich 
drehen.“ Der Leidenschaftliche fand jetzt kaum Worte genug, um seine 
Verehrung für die stabile Friedenspolitik des Hauses Oesterreich, seinen 
Renegatenhaß gegen das unruhige Preußen, seine Angst vor Rußland 
auszusprechen. Als die „Exaltirten“ des schlesischen Hauptquartiers nach- 
her den Zug gegen Paris durchsetzten, meinte er ingrimmig: dieser Marsch 
sei „im Grunde wohl nicht weniger gegen uns als gegen den Kaiser Na- 
poleon gerichtet". Nur eine Hoffnung blieb seinem bekümmerten Herzen 
bei dem Vorwärtsstürmen der schlesischen Jacobiner: — daß der Impe- 
rator baldigst Frieden schlösse. „Jeden anderen Ausweg wird die mächtige 
Partei, die uns halb schon zum Weichen gebracht hat, nicht bloß als einen 
Sieg über Napoleon, sondern als einen Sieg über uns feiern. Daß die 
Coalition, die nun ausgedient und mehr als ausgedient hat, zerfalle, 
macht mir wenig Kummer. Aber wie sie endigen wird, kann uns nicht 
gleichgültig sein."“ 
Einer solchen Gesinnung mußte freilich die französische Hauptstadt, 
die so dicht vor den Füßen des Eroberers lag, ganz uneinnehmbar er- 
scheinen. Metternich selbst dachte nicht so napoleonisch wie sein Gentz. 
Aber er fürchtete „die Arndt, die Jahn“ und alle die anderen preußischen 
Mordbrenner, welche die Hauptstadt mit Verwüstung bedrohten; er fürch- 
tete die revolutionären Träume des Czaren, der bereits vorschlug die fran- 
zösische Nation zur Einsetzung der neuen Regierung aufzurufen; er 
fürchtete zu allermeist Rußlands polnische Pläne. Hieß es doch schon, 
Alexander denke das Elsaß an Oesterreich zu geben und dann Galizien 
für sich zu fordern. Die Gewandtheit des österreichischen Ministers brachte 
bald fast die sämmtlichen Diplomaten des Hauptquartiers auf seine Seite. 
Alle englischen Staatsmänner, Castlereagh, Stewart, Cathcart, Aberdeen 
bewunderten die weise Mäßigung Metternich's, wenn er, der bald nachher 
das Banner des Interventionsprincips erheben sollte, jetzt dem Czaren 
beweglich vorhielt: die Ehrfurcht, die man allen rein nationalen Ange- 
legenheiten schulde, verbiete die Entthronung Napoleon's. Aberdeen fand
	        
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