Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Congreß von Chatillon. 547 
Castlereagh bereit, dem Imperator auf Grund jener Friedensvorschläge 
sofort einen Waffenstillstand zu bewilligen; nur Rußland verlangte den 
Marsch auf Paris. 
Gleich beim Beginne des Congresses von Chatillon benutzte England 
die Geldverlegenheit seiner Bundesgenossen um einen Meisterstreich seiner 
Handelspolitik zu vollführen. War irgend einer von Napoleon's Plänen 
berechtigt gewesen, so doch sicherlich sein Kampf für die Freiheit der 
Meere. Jenes Gleichgewicht der Mächte, wornach die ermüdete Welt ver— 
langte, war nicht gesichert, so lange ein einziger Staat auf allen Meeren 
nach Willkür und Laune schaltete und der Seekrieg, zur Schande der 
Menschheit, noch den Charakter des privilegirten Raubes trug. Preußen 
und Rußland hatten seit dem Bunde der bewaffneten Neutralität alle— 
zeit die Grundsätze eines menschlichen, dem Handel der Neutralen unbe— 
schwerlichen Seerechts vertreten; sie hofften jetzt diese Gedanken Friedrich's 
und Katharina's durch einen Beschluß des gesammten Europas anerkannt 
zu sehen. England aber fühlte sich dadurch in den Grundfesten seiner Macht 
bedroht. Lord Cathcart erklärte rund heraus: hätten wir je die Grundsätze 
der bewaffneten Neutralität anerkannt, so wäre der französische Handel 
nicht zerstört worden und Napoleon regierte noch heute über die Welt; 
niemals wird Großbritannien auf den Meeren ein anderes Gesetz an— 
erkennen als die allgemeinen Regeln des „Völkerrechts“. Wie die Dinge 
standen, lagen andere Fragen für jetzt den drei Festlandsmächten ungleich 
näher; zudem bedurften sie allesammt neuer Geldmittel für den Krieg, 
und der reiche Alliirte war bereit abermals 5 Mill. Pfd. St. Subsidien 
zu zahlen. Daher setzte England schon in der ersten Sitzung, am 5. Fe— 
bruar, durch, daß über die Angelegenheit des Seerechts nicht verhandelt 
werden dürfe. Caulaincourt widersprach nicht; auch er hatte dringendere 
Sorgen. So ist es geschehen, daß der faulste Fleck des modernen Völker— 
rechts während der langen Friedensverhandlungen zu Chatillon, Paris 
und Wien gar nicht berührt wurde. Die öffentliche Meinung, blind be— 
geistert wie sie war für das glorreiche Albion, fand an alledem kein Arg. 
Einmal im Zuge suchte Lord Castlereagh sogleich noch einen zweiten 
Lieblingsgedanken der britischen Politik zu verwirklichen und den Nieder— 
landen eine genügende Abrundung zu sichern. Niemand widersprach, ob— 
gleich man doch soeben erst beschlossen hatte alle Entschädigungsforderungen 
bis zum Friedensschlusse zu vertagen; denn Niemand mochte es mit der 
großen Geldmacht verderben, und über die europäische Nothwendigkeit 
des niederländischen Gesammtstaates waren Alle einig. Am 15. Februar kam 
im Hauptquartiere zu Troyes ein Vertragsentwurf zu Stande, wornach 
die alte holländische Republik unter die erbliche Herrschaft des Hauses 
Oranien gestellt und durch Belgien sowie durch ein Stück des deutschen 
Rheinufers mit Köln und Aachen vergrößert werden sollte. Auch Harden— 
berg stimmte im Wesentlichen zu und machte nur einen Vorbehalt zu 
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