556 I. 5. Ende der Kriegszeit.
drängten Volksmassen die breiten Boulevards entlang nach dem Platze
Ludwig's XV., wo einst die Guillotine ihre Blutarbeit gethan, dann auf
die Elysäischen Felder zur prunkenden Heerschau. Wer hätte sich auch
nur träumen lassen, daß dieselben preußischen Fahnen noch zweimal binnen
zweier Menschenalter desselben Weges ziehen würden? Glücklicher war
doch Niemand als jene beiden großen Deutschen, die nun glorreich er-
füllt sahen, was sie sich einst auf dem Leipziger Markte in die Hand
versprochen hatten. Gneisenau schrieb: „was Patrioten träumten und
Egoisten belächelten ist geschehen;" Stein aber sagte in seiner wuchtigen
Weise: „Der Mensch ist am Boden!“
In der alten Heimath der gallischen Unbeständigkeit, in der Stadt
Paris war die Erbitterung gegen das Kaiserreich früher und lebhafter er-
wacht als in den Provinzen. Die so lange entschlummerte Lust an Kritik
und Widerspruch wurde wieder rege, die Reden der Opposition im Gesetz-
gebenden Körper fanden lauten Widerhall, die constitutionellen Ideen aus
den Anfängen der Revolution lebten auf, das geistreiche Volk begann die
dumpfe Stille, die über seinem öffentlichen Leben lag, als einen unnatür-
lichen Zwang zu empfinden. Der Imperator hatte mit wunderbarer
Kenntniß des Volkscharakters die nationale Staatsform des neuen Frank-
reichs, den centralisirten Beamtenstaat auf viele Menschenalter hinaus fest
begründet. Die Spitze dieses mächtigen Gebäudes blieb gleichwohl unge-
sichert. Sobald das Glück den Herrscher floh mußte er empfinden, daß
er doch nur der Erwählte des Volkes und den Millionen persönlich ver-
antwortlich war; auf Treue konnte ein Regiment nicht rechnen, das
grundsätzlich nur den gemeinen Ehrgeiz benutzte. Schon als man im
Februar die Gefangenen von den Schlachtfeldern der Champagne durch die
Pariser Straßen führte, wurden sie nicht mehr wie sonst mit triumphi-
renden Rufen, sondern mit Bedauern und Mitleid empfangen. Seit den
Niederlagen des März vollendete sich die Umstimmung der Hauptstadt,
ein Gesinnungswechsel so jäh, so durchgreifend, so übermächtig wie vor
Zeiten als Heinrich IV. seinen Frieden mit der alten Kirche schloß und
das katholische Paris sich mit einem male jauchzend in die Arme des ver-
haßten Ketzers stürzte.
Mit richtigem Instincte begriff das Volk, daß nunmehr nur die alte
Dynastie noch möglich war; nicht Royalisten, sondern Männer der Re-
volution und des Kaiserreichs erhoben am lautesten ihre Stimme für die
vergessenen und verlachten Boubonen. Bei ihrem Einzuge bemerkten die
Verbündeten mit Verwunderung, wie die Massen versuchten das Bild des
glorreichen Imperators von der Vendomesäule hinabzustürzen, wie National-
gardisten den vielgefeierten Stern der Ehrenlegion ihren Rossen an den
Schweif banden. Schon sah man an vielen Hüten die weiße Kokarde