Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Deutschlands Forderungen. 561 
bis zur Seine hatte die kühnsten Hoffnungen übertroffen. Mancher er— 
klärte sich befriedigt, wenn nur die alte Grenze im Nordwesten wieder- 
hergestellt und der Tyrann gezüchtigt würde: den Tod des Corsen forderte 
man fast allgemein, die Zeitungen sprachen viel von Harmodios und 
Aristogeiton. 
Nach Allem was geschehen, war eine Verschärfung der Friedensbe- 
dingungen in der That fast unmöglich. Der Cezar hatte soeben noch, 
beim Einzuge, erklärt, daß die Verbündeten das alte Königthum und die 
alten Grenzen Frankreichs wiederherstellen wollten. Es ging kaum an, 
diese so oft wiederholte Zusage jetzt plötzlich zu brechen und den befreun- 
deten Bourbonen härtere Zumuthungen zu stellen als dem Feinde Na- 
poleon. Daher wagten die preußischen Diplomaten gar nicht einen förm- 
lichen Antrag auf die Wiedererwerbung von Elsaß-Lothringen zu stellen, 
obgleich der Staatskanzler persönlich diesen Wunsch hegte und alle seine 
Generale ihm eindringlich vorstellten, wie schwer die Sicherheit Süddeutsch- 
lands gefährdet würde, wenn jener mächtige Keil französischen Gebietes 
von Landau bis Hüningen tief in unser Oberland hineinragte. Harden- 
berg und sogar Stein begnügten sich den Rückfall von Straßburg und 
Landau zu verlangen; denn diese Forderung durften sie stellen ohne den 
früheren Versprechungen der Coalition untreu zu werden. Beim Ausbruche 
der Revolutionskriege war ja ein volles Viertel des Elsasses, 245 Ge- 
meinden mit 252,000 Einwohnern, noch im Besitze deutscher Reichsstände 
gewesen, freilich zum größten Theile unter französischer Oberhoheit. Ga- 
ben die Deutschen diese alten Ansprüche auf, verzichteten sie auf den 
Wiedergewinn der schönen Herrschaften Saarwerden, Lützelstein, Rappolt- 
stein, Mömpelgard, Dagsburg, Hanau-Lichtenberg, so waren sie sicherlich 
berechtigt, zur Entschädigung die beiden gefährlichen Hauptfestungen des 
Oberrheins zu fordern. Aber einstimmig traten die drei verbündeten 
Mächte dieser bescheidenen Forderung Preußens entgegen. Talleyrand 
betheuerte salbungsvoll: das einzige Mittel zur Verhinderung künftiger 
Kriege sei — eine große starke Nation nicht zu entehren, und fand nur 
zu schnell Gehör bei dem Czaren, bei Metternich und Castlereagh. 
Schon am 23. April wurde mit Monsieur ein vorläufiger Vertrag 
abgeschlossen, kraft dessen die Civilverwaltung in allen den Gebieten, welche 
am 1. Januar 1792 französisch gewesen, sofort an die französischen Be- 
hörden zurückgegeben werden sollte; auch die Entfernung der verbündeten 
Heere aus diesen Landstrichen wurde zugesagt, sobald Frankreich die noch 
in Italien und Deutschland besetzten Festungen geräumt habe. Stein 
machte den Staatskanzler darauf aufmerksam, durch diesen Vertrag seien 
keineswegs ganz Elsaß-Lothringen und Burgund der französischen Ver- 
waltung preisgegeben, vielmehr lägen dort überall noch eingesprengte alt- 
deutsche Gebiete; als Leiter der Centralverwaltung befahl er sogleich, daß 
im Moseldepartement alle die Ortschaften, die erst im Jahre 1793 erobert 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 36
	        
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