Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Vertagung der Gebietsfragen. 569 
Hochtorys gingen, wie gewöhnlich, bereitwillig auf Metternich's Ansichten 
ein; sie glaubten ihm auf's Wort, daß der Main ein österreichischer Strom 
sei, und wollten sich ebenfalls in Paris auf keine Verhandlung über 
Preußens Ansprüche einlassen. 
Auch der Czar war der gleichen Ansicht, obgleich Stein sich warm 
für die Vorschläge des Staatskanzlers verwendete und dringend vorstellte: 
die preußisch-russischen Forderungen müßten jetzt in's Reine gebracht wer— 
den, so lange Frankreich sich noch nicht erholt und Oesterreich sein Heer 
nicht verstärkt habe. Alexander wünschte nicht, sich jetzt schon über seine 
polnischen Pläne zu äußern, von denen auch Stein noch immer nichts 
Sicheres wußte. In der That sprachen auch gewichtige sachliche Gründe 
für die Verschiebung der Entscheidung bis zu dem Congresse, der die neue 
Gestalt des Staatensystems festsetzen sollte. Es zeigte sich jetzt, daß dieser 
ungeheure Krieg doch in erster Linie ein Kampf um Preußens Dasein 
gewesen war. Die Wiederherstellung Preußens setzte voraus Verhand— 
lungen mit Rußland, Oesterreich, England-Hannover, Dänemark, Schwe— 
den, Holland und einer langen Reihe deutscher Kleinstaaten; sie berührte 
die beiden Fragen, worüber die Meinungen am weitesten auseinander— 
gingen, den sächsischen und den polnischen Handel. Diese Fragen jetzt 
erledigen hieß nichts anderes als dem Congresse die wichtigsten Aufgaben, 
um derentwillen er berufen war, im Voraus wegzunehmen. Von der Um— 
gestaltung des preußischen Gebiets hing die neue Ordnung der Staaten— 
gesellschaft vornehmlich ab; darin lag die Bedeutung zugleich und die 
schwere Gefahr unserer centralen Stellung. 
Stein hat späterhin den Staatskanzler getadelt, weil er den gün— 
stigen Augenblick, da die Waffenthaten Preußens noch in frischer Erinne— 
rung standen, nicht benutzt habe, um sich den Siegespreis zu sichern. 
Als ob solche gemüthliche Stimmungen irgend etwas bedeuteten gegen— 
über den mächtigen Interessen, welche die berechnete Zurückhaltung der 
Alliirten bestimmten! In den Augen Oesterreichs und Englands waren 
die Siege Blücher's und Gneisenau's wahrhaftig kein Verdienst, sondern 
nur ein Grund mehr, Preußen zu beargwöhnen, den aufstrebenden Staat 
in Schranken zu halten. Der Reichsritter war völlig im Irrthum, wenn 
er wähnte, Metternich sei in jenem Augenblicke zur Abtretung von Sachsen 
bereit gewesen. Und welches Mittel besaß denn Hardenberg, um die 
widerstrebenden Höfe jetzt zu bindenden Versprechungen zu zwingen? Da 
die Alliirten sich verpflichtet hatten nur gemeinsam (d'un commun ac- 
cord) Frieden zu schließen, so war Preußen allerdings formell berechtigt 
seine Zustimmung an Bedingungen zu knüpfen; man konnte erklären: 
wir gestatten nicht, daß Bestimmungen über die Niederlande und Italien 
in den Friedensschluß aufgenommen werden, wenn nicht auch unsere Ent— 
schädigungen Erwähnung finden. Aber dieser letzte Trumpf war schon 
verspielt; Preußen hatte ja längst der Herrschaft Oesterreichs über Ober—
	        
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