Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

48 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
märkischen Schulstube von seinen Füßen geschüttelt und an den Gemälden 
der Dresdner Galerie mit trunkenen Blicken schwelgte, da sandte er noch, 
unbefangen wie ein großer Heide, seine Flüche der Heimath zu: „Ich 
gedenke mit Schaudern an dieses Land; auf ihm drückt der größte Des- 
potismus, der je gedacht ist. Besser ein beschnittener Türke werden als 
ein Preuße. In einem Lande wie Sparta (eine sehr ideale Bezeichnung 
des Regiments des Corporalstocksl) können die Künste nicht gedeihen und 
müssen gepflanzt ausarten.“ So weit strebten jene schöpferischen Kräfte 
noch auseinander, die in unbewußtem Bunde das neue Deutschland 
gebaut haben! Die kleinen Leute im Reiche verwünschten den König 
von Preußen wegen der Landplage seiner Werbungen. Wachse nicht, 
dich fangen die Werber! rief die schwäbische Mutter ängstlich ihrem 
Sohne zu. Jedermann am Rheine wußte hundert unheimliche Geschichten 
aus dem Wirthshause zu Frankfurt, wo die preußischen Werbeoffiziere ihr 
Standquartier hatten; keine Teufelei, die man den wilden Gesellen nicht 
zutraute. 
Und all diese List und Gewalt, alle die ungeheuren Heereskosten, 
welche volle vier Fünftel der preußischen Staatseinnahmen verschlangen, 
dienten, so meinte man im Reiche, doch nur der zwecklosen Soldaten- 
spielerei eines närrischen Tyrannen. Ein Menschenalter war verflossen 
seit jenem Heldenkampfe von Cassano, da das Blut der märkischen Grena- 
diere die Wellen des Ritorto röthete und die dankbaren Lombarden die 
tapferen Prussiani zum ersten male mit den rauschenden Klängen des 
Dessauer Marsches begrüßten; wenn die wilde herausfordernde Weise 
jetzt auf friedlichen Exercirplätzen erkllang, so lachten die Deutschen über 
den „preußischen Wind“. Friedrich Wilhelm's Regierung fiel in die 
armselig ideenlose Zeit des Utrechter Friedens; die kleinen Künste der 
Fleury, Alberoni, Walpole beherrschten die europäische Politik. Rathlos 
stand der gradsinnige Fürst in dem durchtriebenen Ränkespiel der Diplo- 
matie. Er hielt in altdeutscher Treue zu seinem Kaiser, wollte seinen 
Kindern Säbel und Pistolen in die Wiege legen um die fremden Nationen 
vom Reichsboden zu schmeißen; wie oft hat er mit dem vaterländischen 
Bierkrug in der Hand sein schallendes Vivat Germania teutscher Nation! 
gerufen. Nun mußte der Arglose erleben, wie die Wiener Hofburg mit 
seinen beiden ehrgeizigen Nachbarn Hannover und Sachsen insgeheim 
die Zerstückelung Preußens verabredete, wie sie dann den Albertinern 
zur polnischen Krone verhalf, Lothringen den Franzosen preisgab und 
in seinem eigenen Hause den Unfrieden schürte zwischen Vater und 
Sohn, wie sie ihm endlich sein gutes Erbrecht auf Berg und Ostfries- 
land treulos zu entwinden suchte. So ward er sein Leben lang hin und 
her gestoßen zwischen Gegnern und falschen Freunden; erst am Ende 
seiner Tage hat er Oesterreichs Arglist durchschaut und seinen Sohn er- 
mahnt, den betrogenen Vater zu rächen. An den fremden Höfen aber ging
	        
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