Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

578 I. 5. Ende der Kriegszeit. 
hen zu bewegen, daß er seinen Gefangenen an Oesterreich ausliefere. Man 
erfuhr, daß Prinz Anton von Sachsen, eingeladen von seinem kaiserlichen 
Schwager, schon im Juli sich nach Wien begab, um auf dem Congresse 
für seinen Bruder zu wirken. Einige Wochen nachher erklärte Metternich 
selbst einem anderen sächsischen Agenten, dem Grafen Schulenburg: die 
Interessen Preußens und Oesterreichs laufen in der sächsischen Frage ein- 
ander schnurstracks zuwider; am besten, wenn Schulenburg selbst als säch- 
sischer Gesandter „mit ruhender Vollmacht“ auf dem Congresse erscheint 
und statt aller Instructionen den einfachen Auftrag mitbringt, in Allem 
und Jedem den Weisungen Oesterreichs zu folgen. Friedrich August be- 
eilte sich den Rathschlag wörtlich zu befolgen. Das Bündniß zwischen den 
Lothringern und den Albertinern war unerschütterlich fest begründet. 
Das englische Cabinet stand dem sächsischen Streite vorderhand sehr 
gleichgiltig und völlig unwissend gegenüber. Nach Castlereagh's Briefen 
ließ sich die Frage wohl aufwerfen: ob der edle Lord genau wußte, wo 
eigentlich das Königreich Sachsen lag? Soweit die Torys über die An- 
gelegenheit nachgedacht hatten, waren sie als geschworene Feinde Napo- 
leon's dem gefangenen Rheinbundfürsten ungünstig gesinnt. Nur der 
Prinzregent empfand die natürliche Theilnahme des Welfen für den Al- 
bertiner. Sehr geschickt verstanden die Agenten Friedrich August's solche 
Stimmungen zu nähren; sie stellten dem Hofe von St. James vor: diese 
conservative Macht habe die legitimen Bourbonen wiederhergestellt und 
könne doch unmöglich die nicht minder legitimen Wettiner entthronen wollen. 
Am letzten Ende hing Englands deutsche Politik nach wie vor von den Rath- 
schlägen Metternich's und Münster's ab, und Hardenberg durfte eine nach- 
haltige Unterstützung seiner sächsischen Ansprüche von Seiten der englischen 
Minister um so weniger erwarten, da die Verkettung der sächsischen und 
der polnischen Frage früher oder später doch selbst den harten Köpfen dieser 
Torys einleuchten mußte. 
In die polnischen Händel aber stürmte Castlereagh mit dem ganzen 
Feuereifer der Beschränktheit hinein. Die Theilung Polens war einst von 
den beiden Westmächten als eine schwere Demüthigung empfunden worden, 
weil sie durch die Ostmächte allein vollzogen ward; jetzt galt es die alte 
Schmach zu sühnen. Der Wille Englands, den man nach alter Gewohn- 
heit für den Willen Europas ausgab, sollte an der Weichsel entscheiden. 
Die Torys hatten im Sommer 1812 den klugen Rath Stein's verschmäht, 
der ihnen vorschlug, sich im Voraus mit Alexander über die polnische 
Grenze zu verständigen; jetzt sprach man in London viel von einem un- 
abhängigen Polen unter einer nationalen Dynastie. Was man sich dabei 
dachte, war sicherlich den Ministern selbst nicht klar; nur so viel stand 
fest, daß Castlereagh als der Wortführer Europas dem Ehrgeiz Rußlands 
entgegentreten wollte. Besonders unheimlich erschien den Hochtorys die 
Absicht des Czaren, den Polen eine Verfassung zu verleihen: „das sei
	        
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