Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

582 I. 5. Ende der Kriegszeit. 
mehr, „da dies den Ansprüchen Preußens auf Sachsen ein Ziel setzen 
würde“. Italiens Unabhängigkeit besteht darin, daß stets mehrere Mächte 
auf der Halbinsel einander das Gleichgewicht halten; daher soll der Usur- 
pator Murat, celui qui regne à Naples, den legitimen Bourbonen die 
Krone zurückgeben, Toscana an einen andern Zweig der Bourbonen fallen, 
der Papst erhält die Legationen, Sardinien wird vergrößert und das Erb- 
folgerecht der Linie Carignan sicher gestellt. So empfängt Frankreich im 
Süden neben Oesterreich den herrschenden Einfluß. Der beste Bundes- 
genosse für diese Pläne ist England, das außerhalb Europas der Länder- 
gier fröhnt, in Europa eine conservative Politik einhält. 
Meisterhaft hatte Talleyrand seine Denkschrift auf die persönlichen 
Neigungen des legitimsten aller Könige berechnet. Der Mann, der einst 
bei dem Verbrüderungsfeste der Revolution das Hochamt gehalten und 
dann jahrelang als napoleonischer Minister, nach seinem eigenen Geständ- 
niß, „den Henker Europas“ gespielt, vertheidigte jetzt das legitime Recht 
mit jener feierlichen Salbung, die den Bourbonen wohl gefiel, schilderte 
dies besiegte Frankreich, das nach der Niederlage nichts für sich fordern 
durfte, als den großmüthigen Beschützer der Schwachen und Bedrängten 
und empfahl schließlich geradezu den Krieg für das „Recht“ in Polen, 
wenn Rußland nicht im Frieden zu bändigen sei. Der Tuilerienhof war 
damals allein unter allen Großmächten kriegerischen Plänen nicht fremd, 
wie selbst Wellington bald bemerkte. Die aus den deutschen Festungen 
heimkehrenden Veteranen verlangten stürmisch die Wiedereroberung der 
natürlichen Grenzen. Die Angst vor dem gefährlichen Narren auf Elba, 
wie Fouché sagte, und die steigende Verwirrung im Innern drängten den 
Bourbonen den Gedanken auf, wieder einmal durch das oft erprobte 
Mittel des Waffenlärms die Leidenschaften der Parteien zu beschwichtigen. 
König Ludwig billigte aus voller Seele die Denkschrift des Ministers, der 
so geschickt die alten Ueberlieferungen der bourbonischen Politik mit dem 
modischen Mantel der Legitimität zu umhüllen wußte. Am lebhaftesten 
beschäftigte den König das Schicksal seines sächsischen Vetters; er schrieb 
dem Gefangenen ermuthigende Briefe und gab noch beim Abschied dem 
Minister, als dieser nach Wien reiste, den gemessenen Befehl, um jeden 
Preis dem Verwandten der ältesten und vornehmsten Dynastie sein Erb- 
land zu retten. 
So die Gesinnungen Oesterreichs und der Westmächte. Da zudem 
die sämmtlichen kleinen deutschen Höfe der Vergrößerung Preußens leiden- 
schaftlich widerstrebten, so war offenbar schon vor dem Congresse der 
Boden geebnet für das französisch -englisch-österreichische Bündniß, das 
Talleyrand seit Jahren wünschte. Die italienische Frage, die einzige, 
welche Frankreich und Oesterreich hätte trennen können, trat neben der 
deutschen in den Hintergrund. Preußen durfte nicht hoffen, alle seine 
Ansprüche, wie billig sie auch waren, vor dem hohen Rathe Europas
	        
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