Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die neue Staatengesellschaft. 603 
diplomatischen Agenten und viele andere unscheinbare aber unentbehrliche 
Voraussetzungen eines geordneten Völkerverkehrs endlich einigte. Zur See 
blieb freilich Alles beim Alten. Hier galt kein Völkerrecht, sondern die Ueber— 
macht Englands; nimmermehr wollte die Hoffart der Meereskönigin sich 
auch nur zu einer Verständigung über den Flaggengruß herbeilassen. 
Noch folgenreicher wurden die Verträge über die Schifffahrt auf den 
conventionellen, mehreren Staaten gemeinsam angehörigen Flüssen, ein 
mühseliges Werk, woran Humboldt's Fleiß und Scharfsinn das Beste that. 
Die Handelspolitik des achtzehnten Jahrhunderts hatte grundsätzlich den 
eigenen Nutzen in der Schädigung des Nachbars gesucht, jetzt zum ersten 
male berief sich ein europäischer Vertrag auf die Lehre der neuen Natio- 
nalökonomie, daß die Erleichterung des Verkehres im gemeinschaftlichen 
Interesse aller Völker liege. Auch ein großes gemeinsames Werk christ- 
licher Barmherzigkeit wurde schon in Angriff genommen: die Mächte 
einigten sich über die Abschaffung des Negerhandels. Allerdings vorerst 
nur über den Grundsatz, da Spanien und Portugal bindende Verpflich- 
tungen nicht übernehmen wollten. Aber mit Alledem ward doch die Bahn 
gebrochen für eine lange Reihe von Verträgen, welche das Netz des völker- 
verbindenden Verkehrs immer enger flochten, den Rechtsschutz für die 
Ausländer immer sicherer stellten. Der neu erwachte Nationalstolz hatte 
den gesunden Kern der alten deutschen Weltbürgergesinnung keineswegs 
zerstört. Kaum war der Imperator gestürzt, so legte der wackere preu- 
hische Jurist Sethe dem Freiherrn vom Stein in einer Denkschrift dar, 
wie viele harte und feindselige Bestimmungen gegen die Ausländer der 
Code Napoleon enthalte;!)) Gelehrte und Geschäftsmänner bestürmten die 
deutsche Diplomatie um Sicherung der Rechte der Fremden. Mit dem 
Wiener Congresse begann in der That eine neue Epoche des Völkerrechts, 
eine menschlichere Zeit, welche den großen Namen der Staatengesellschaft 
allmählich zur Wahrheit machte und namentlich dem internationalen 
Privatrechte endlich einen positiven Inhalt gab. 
An diesem großen Fortschritte des Völkerrechts hatte freilich der Auf- 
schwung des Weltverkehres ein größeres Verdienst als die bewußte Ein- 
sicht der Mitglieder des Congresses. Wie hätte sich auch eine ernste und 
tiefe politische Gesinnung entwickeln können in dieser glänzenden und 
rauschenden Versammlung, der prächtigsten und zahlreichsten, welche die 
Welt seit dem großen Constanzer Kirchentage gesehen hatte? Alle Mächte 
Europas, mit einziger Ausnahme des Sultans, waren vertreten. Auf 
dem Graben und auf den Basteien des alten Wiens, im Prater und an 
der großen Diplomatenbörse, dem Gasthofe zur „Kaiserin von Oesterreich" 
drängte sich das bunte Gewimmel von Fürsten und Prätendenten, Staats- 
männern und Offizieren, Priestern und Gelehrten, Abenteurern, Gaunern 
  
*) Sethe an Stein, Düsseldorf, 13. Mai 1814.
	        
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