Der österreichische Hof. 607
nur noch eine conservative Politik verfolgen konnte, und wollte wie jener
die revolutionären Ideen der Völker durch eine scharfe polizeiliche Aufsicht
bändigen, den Ehrgeiz der beiden aufstrebenden jungen Ostmächte unter
dem Scheine zärtlicher Freundschaft zügeln. Daher das feste Bündniß
mit den gleichgesinnten englisch-hannoverschen Torys und das bereits
vorbereitete gute Einvernehmen mit dem bourbonischen Hofe. Der natio—
nalen Politik Preußens hatten die Verträge mit den Rheinbundstaaten
schon einen Riegel vorgeschoben; jetzt galt es zunächst durch die Errettung
Sachsens die kleinen Kronen noch fester an das Haus Oesterreich anzu—
schließen und sodann die Türkei vor Rußlands Uebergriffen sicher zu stellen.
Durch die Bekämpfung der Osmanen war Oesterreich einst emporgekommen
und in Wahrheit erst zu einem Staate geworden; der gedankenlosen
Ruheseligkeit dieser neuen Staatsweisheit erschien umgekehrt die Erhaltung
der letzten Trümmer der Osmanenherrschaft als eine heilige Aufgabe. Für
den himmelschreienden Jammer der serbischen und griechischen Rajah hatte
man in der Hofburg nur noch ein frivoles Lächeln. Ein Gefühl innerer
Wahlverwandtschaft verband dies neue Oesterreich, das sich in seinen
italienischen Provinzen nur durch das Schwert aufrecht erhalten konnte,
mit der hohen Pforte. Schon seit Anfang 1813 hatte Gentz mit dem
Hospodaren der Wallachei, Janko Karadja, einen regelmäßigen vertrauten
Briefwechsel eröffnet, der den Divan, „unseren treuesten Alliirten“, über
die Lage der Welt und die Absichten des Wiener Hofes genau unterrichten
sollte. Vergeblich war Metternich seit dem Herbst des nämlichen Jahres
bemüht gewesen, den Czaren dahin zu überreden, daß der Sultan mit
in die europäische Fürstenfamilie aufgenommen, sein Besitzstand durch alle
Mächte insgesammt feierlich verbürgt werden sollte.
Diese Lücke in dem großen Systeme der Stabilitätspolitik mußte jetzt
noch ausgefüllt werden. Gelang dies und wurden auch die polnischen
Pläne Alexander's vereitelt, so war nach Metternich's Meinung das Werk
des Congresses auf unabsehbare Zeiten hinaus sichergestellt. So spiegelte
sich in diesem Kopfe die Welt. Genuß und Ruhe war ihm das höchste
Ziel der Politik, und nur die Furcht vor einer Ruhestörung vermochte ihm
einen tapferen Entschluß zu entreißen. Ewige Zersplitterung Deutschlands,
also daß die souveränen Kleinkönige freiwillig bei Oesterreich Schutz suchten
gegen Preußen und „den höchstgefährlichen Gedanken der deutschen Einheit“
ewige Ohnmacht Italiens, das, wie Lord Castlereagh den klagenden Pie-
montesen trocken erwiderte, um der Ruhe Europas willen immer getheilt
bleiben mußte und in den Augen der Hofburg nur ein geographischer
Name war; Frankreich bewacht durch eine Reihe friedfertiger Mittelstaaten,
die vom Texel bis zum ligurischen Meere hin den gefährlichen Staat um-
geben und von jeder Berührung mit den Großmächten absperren sollten;
Rußland im Zaume gehalten durch das gesammte Europa, das die Türken
unter seinen Schutz nahm; die Revolution zerschmettert durch den vereinten