Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Talleyrand. 617 
land für natürliche Verbündete und betheuerte seinen preußischen Freun— 
den inbrünstig, „wie sehr dem jetzigen Völkersysteme an dem guten Ein— 
vernehmen zwischen Berlin und dem Haag gelegen ist.“ Aber zu nahe 
an sein geliebtes Holland durfte ihm der streitbare Nachbarstaat nicht 
heranrücken; vollends die sächsischen Ansprüche der preußischen Politik er— 
schienen dem alten Vorkämpfer des Kleinfürstenthums schlechthin ruchlos. 
Mit Feuereifer warf er sich in's Zeug um die „heiligsten Rechte“ des 
deutschen hohen Adels zu vertheidigen und schrieb den preußischen Staats— 
männern nachdrückliche Briefe in jenem possirlichen Lehrtone, den diese 
Kleinen allesammt gern gegen die langmüthigen Großen anschlugen. Als 
er einmal dem Staatskanzler eine seiner wohlgemeinten, verworrenen ge— 
lehrten Flugschriften sendete, erlaubte er sich die strafende Bemerkung: „Es 
ist so viel Edles in Ihrem Gemüth, daß ich immer zu den besten Erwar— 
tungen zurückkehre, wenn auch Dinge vorgegangen waren, die ich eben 
nicht billigen kann.“ Darauf Hardenberg, mit sanfter Anspielung auf 
die proteische Natur des kleinstaatlichen Patrioten: „Uebrigens muß ich 
über den Zusatz bemerken, daß, so sehr viel Werth ich auf Ihren Bei— 
fall setze, ich doch nicht glaube, in Ihnen einen Censor meiner öffentlichen 
Handlungen anerkennen zu müssen, so wenig ich mir anmaße, Eurer Exc. 
politisches Betragen in verschiedenen Epochen zu vergleichen, oder zu ent— 
scheiden, wer von uns am Mehrsten auf Deutschlands Ruhe, Eintracht 
und herzustellendes Vertrauen hinwirkt.“ Trotz solcher Anzüglichkeiten 
wollte Hardenberg's Gutherzigkeit dem wunderlichen Heiligen nicht ernst- 
lich gram werden. Seine Freunde betrachteten den Unermüdlichen nicht 
ohne Humor. Alopeus schrieb treffend: „Dieser unruhige Staatsmann, 
dem es gleichgiltig ist, welcher Sache er seine Talente widmet, wenn er 
nur recht thätig erscheinen kann, ist jetzt zum Holländer geworden.“) 
Unter Staatsmännern solchen Schlages mußte bald der Einfluß des 
Mannes fühlbar werden, der von allen Diplomaten des Congresses der 
gewandteste, von allen Gegnern Preußens der entschlossenste war: des 
Fürsten Talleyrand. Unerschütterliche Sicherheit des Auftretens ist auf 
dem glatten Boden des Salons von jeher noch siegreicher gewesen als 
verbindliche Liebenswürdigkeit. Wenn Metternich und Hardenberg durch 
anmuthig gewinnende Formen große Erfolge in der vornehmen Gesell- 
schaft errangen, so wirkte Talleyrand's cynische Schamlosigkeit noch un- 
widerstehlicher. Welch ein Eindruck, wenn die unförmliche Gestalt, ange- 
than mit der altmodischen Tracht aus den Zeiten des Directoriums, sich 
schwerfällig auf ihrem Klumpfuß in den glänzenden Kreis des Hofes 
hineinschob: dicht über der hohen Halsbinde ein ungeheurer Mund mit 
schwarzen Zähnen; kleine tiefliegende graue Augen ohne jeden Ausdruck; 
  
*) Gagern an Hardenberg 12. 18. Novbr. Hardenberg an Gagern 16. Novbr. 
Alopeus an Humboldt 11. Octbr. 1814.
	        
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