Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

662 II. 1. Der Wiener Congreß. 
Nunmehr galt es, an anderen Stellen Deutschlands die zu Preußens 
voller Entschädigung noch fehlenden Landstriche zu suchen. Den unglück- 
lichen Einfall, die Bayreuther Angelegenheit wieder aufzunehmen, gab der 
Staatskanzler bald auf. Dagegen ließ Metternich die so lange und hart- 
näckig festgehaltene Moselgrenze fallen; Preußen erhielt Coblenz und das 
Gebirgsland zwischen Saar und Nahe. Die preußischen Staatsmänner 
verhehlten nicht, daß der König nur um Deutschlands, „nur um des all- 
gemeinen Wohles willen“ den linksrheinischen Besitz übernehme; Preußen 
gelange dadurch in eine ähnliche bedrohte Stellung wie einst Oesterreich 
durch die Erwerbung Belgiens. Eben diese Bedrängniß des Nebenbuhlers 
war in Metternich's Augen der einzige Trost für das unwillkommene Vor- 
rücken Preußens gegen Süddeutschland hin; wie schön, meinte er zu 
seinen Vertrauten, daß man Preußen also mit Frankreich unmittelbar 
„compromittirt“ habe! Uebrigens gönnte er dem preußischen Gebiete nicht 
einmal auf dem linken Rheinufer eine genügende Abrundung. Ein Stück 
des alten Saar-Departements wurde vorbehalten, um hier, dicht an der 
gefährdeten Grenze, die Ansprüche von Oldenburg, Coburg, Homburg, 
Strelitz und Pappenheim zu befriedigen. Nach Oesterreichs Ansicht war 
es ja ein Gebot weiser Politik, möglichst viele Kleinstaaten zur Verthei- 
digung der Rheingrenze zu nöthigen. Es war, als wollte die Hofburg 
die benachbarten Elsaß-Lothringer durch den täglichen Anblick des ganzen 
Elends deutscher Kleinstaaterei gründlich von dem Segen französischer 
Staatseinheit überzeugen. Sodann bewilligte Castlereagh, daß die Land- 
forderungen Hannovers und der Niederlande zu Preußens Vortheil etwas 
herabgesetzt wurden. 
Auch die polnischen Händel kamen während der nächsten Wochen in's 
Gleiche. Durch den Vertrag vom 3. Mai 1815 wurde die neutrale Re- 
publik Krakau begründet. Eine Commission der drei Theilungsmächte — 
für Preußen Jordan und Stägemann — ging hinüber um die neue Ver- 
fassung einzurichten. Indeß fühlte man von vorn herein, wie lebensunfähig 
diese lächerlichste von allen Kunstschöpfungen des Congresses war; schon 
die Instruction der Commissare drohte mit dem Einschreiten der drei 
Mächte, falls der junge Freistaat zu einem Herde des Aufruhrs würde. 
Der englische Bevollmächtigte ließ es sich nicht nehmen, noch einmal 
die der britischen Tugend so wohlthuende und dabei so wenig kostspielige 
Rolle des Protectors sarmatischer Freiheit zu spielen; so hoffte er zu- 
gleich den Zorn der Whigs über die Preisgebung Polens zu beschwichtigen. 
Er verlangte in einer phrasenhaften Circularnote vom 12. Januar: da 
ein unabhängiges Polen unter einem eigenen Herrscherhause leider unmög- 
lich sei, so sollten die drei Theilungsmächte sich mindestens verpflichten 
„die Polen als Polen zu behandeln“. Die naive Unwissenheit des edlen 
Lords dachte die drei Theilungsmächte auf einen Fuß zu behandeln; wer 
hätte auch diesem Kopfe beibringen sollen, daß Preußen zu dem kleinen,
	        
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