682 II. 1. Der Wiener Congreß.
Wie viel tapferer ging der Adjutant Karl August's, der junge Thon
auf die Frage der deutschen Zukunft los — derselbe, der späterhin als
Leiter des Weimarischen Finanzwesens in der Geschichte des Zollvereins
eine Rolle spielen sollte. Er hatte unter den Lützow'schen Jägern mitge—
fochten und sich die stolzen patriotischen Stimmungen der Kriegszeit auch
während des Congresses treu bewahrt. Als er nun das unvermeidliche
Mißlingen der Wiener Verhandlungen vor Augen sah, schrieb er kurz,
scharf und sicher einen Aufsatz: Was wird uns die Zukunft bringen?)
und erwies, wie für jetzt doch nur ein ganz loser Bund ohne Haupt zu
Stande komme; das alte Reich sei todt für immer, alle Hoffnungen der
Nation beruhten fortan auf Preußens innerer Entwicklung. Möge dieser
Staat sich innerlich kräftigen, dann werde er stark genug sein um der-
einst die undeutschen Mächte Oesterreich und England aus unserem Lande
hinauszuschlagen, die Mittelstaaten, Napoleon's Gebilde, zu zertrümmern
und die gesammte Nation unter seiner Krone zu vereinigen. So die Ge-
danken eines deutschen Soldaten im Mai 1815. Sie blieben den Zeit-
genossen verborgen wie jene Schrift Fichte's aus dem Sommer 18138; viel-
leicht daß einmal Karl August auf die Abhandlung seines jungen Adjutanten
einen Blick geworfen und darin einen Anklang an die Fürstenbundsträume
seiner eigenen Jugend erkannt hat. Wie unheimlich erscheint doch die
schwerflüssige Langsamkeit der nationalen Entwicklung neben den raschen
Gedanken der kurzlebigen Einzelmenschen! Vor hundertundfünfzig Jahren
gerade hatte Pufendorf die Bildung des Deutschen Bundes vorausgesagt;
jetzt endlich ward das Seherwort zur Wahrheit. Und wie viele Jahr-
zehnte voll Sorge, Schmach und Arbeit sollten abermals vergehen, bis
sich erfüllte was dieser neue namenlose Prophet, allein unter allen Zeit-
genossen, vorher sah: die Losreißung von Oesterreich und die Einheit
Deutschlands unter Preußens Kronel
Eine so verworrene öffentliche Meinung konnte den Cabinetten nicht
die Richtung auf bestimmte Ziele geben; sie bewirkte nur das Eine, daß
eine deutsche Bundesverfassung überhaupt zu Stande kam. Die öster-
reichischen Staatsmänner hatten noch in Teplitz beabsichtigt, die deutschen
Souveräne wie die italienischen lediglich durch eine Defensiv-Allianz mit
der Hofburg zu verbinden. Aber schon während des Krieges war Metter-
nich zu der Einsicht gelangt, daß Angesichts der hochgespannten Erwar-
tungen der deutschen Nation irgend eine festere Form bündischer Verfas-
sung gewährt werden müsse. Deshalb, aus Furcht vor der Revolution,
gab er in Chaumont dem Drängen Hardenberg's nach und bewilligte die
Zusage „eines föderativen Bandes“ für die deutschen Staaten. Auch
darin zeigte sich die Erstarkung des neuen Deutschlands, daß keine der
*) Als Manuscript gedruckt Weimar 1867 u. d. T.: Aus den Papieren eines
Verstorbenen.