Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Wiederaufnahme der Verhandlungen. 695 
kennen gelernt und die Ueberzeugung gewonnen, daß sich seit der Auf- 
lösung des Reichs an den deutschen Höfen ein ungeheurer Dünkel, mit 
dem man rechnen mußte, gebildet hatte. Jene Abstufungen des Ranges 
und des Rechtes, die in der alten Reichsverfassung bestanden, waren 
vergessen, die neuen Souveräne fühlten sich einander schlechthin gleich. 
Sollte die Bundesacte überhaupt zu Stande kommen, so durfte den 
Kleinstaaten keine allzu auffällige formelle Unterordnung unter die grö- 
ßeren Genossen zugemuthet werden; denn, meinte Gersdorff mit jener 
kindlichen Unschuld, die von jeher das Vorrecht unserer kleinstaatlichen 
Diplomaten war: „man liebt den Schein der Freiheit selbst wenn man 
ihr Wesen nicht zu besitzen vermag.““) Daß ein Staatenbund nur in 
einer Vielheit von Staaten möglich sei, hatte Humboldt von vornherein 
ausgesprochen. Zudem fiel jeder Grund für die Bildung eines Kreis- 
oberstenrathes hinweg, wenn man die Kreiseintheilung selber bei der Hof- 
burg nicht durchsetzen konnte. Nach der Haltung, welche die Mittelstaaten 
im Fünfer-Ausschuß und in den sächsischen Händeln eingenommen hatten, 
schien es auch sehr zweifelhaft, ob ein Rath von fünf, sieben oder zehn 
Staaten die executive Gewalt des Bundes einträchtiger, wirksamer hand- 
haben würde als ein aus allen Staaten gebildeter Bundestag. 
Daher erwog Humboldt mit dem Staatskanzler schon im Januar 
die Frage, ob man nicht, Angesichts der Verstimmung der Kleinstaaten 
besser thue die zwei Räthe fallen zu lassen und statt ihrer eine einzige 
Bundesversammlung zu bilden, welche die laufenden Geschäfte in einem 
engeren Rathe, wichtigere Fragen im Plenum zu erledigen hätte; in dem 
Plenum sollten alle Staaten mindestens eine Stimme, die Mediatisirten 
einige Curiatstimmen erhalten. Bei der grenzenlosen Eifersucht Aller 
gegen Alle erschien die nahezu vollständige Parität als das einzige 
Mittel um nur irgend eine Form bündischer Einheit zu erreichen. Die 
beiden Staatsmänner entwarfen sodann eine Note an Metternich, baten 
um die bestimmte Erklärung: ob der kaiserliche Hof die Kreisverfassung 
endgiltig ablehne? und ob er die Bildung eines einfachen Bundestages, 
statt der zwei Räthe, genehmige? Dann könne ein neuer Entwurf aus- 
gearbeitet werden. Preußen sei zu jedem Zugeständniß bereit: „nur drei 
Punkte sind es, von denen man nicht abgehen kann: eine kraftvolle 
Kriegsgewalt, ein Bundesgericht und landständische, durch den Bundes- 
vertrag gesicherte Verfassungen. Ohne das Bundesgericht würde es dem 
Rechtsgebäude in Deutschland an dem letzten und nothwendigsten Schlußsteine 
mangeln.“““) Es waren dieselben drei Cardinalpunkte, welche Hardenberg 
schon in Paris als die Hauptaufgaben der Bundesverfassung bezeichnet hatte. 
*) Geredorff an Humboldt, 6. December 1814. 
*.) Hardenberg und Humboldt, Entwurf einer Note an Fürst Metternich, die neue 
Organisation des Bundestags betreffend. Das Concept ist undatirt, muß aber schon 
im Januar geschrieben sein, da mehrere der darin enthaltenen Sätze wörtlich in der 
preußischen Note vom 2./10. Februar wiederkehren. 
 
	        
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