Wiederaufnahme der Verhandlungen. 695
kennen gelernt und die Ueberzeugung gewonnen, daß sich seit der Auf-
lösung des Reichs an den deutschen Höfen ein ungeheurer Dünkel, mit
dem man rechnen mußte, gebildet hatte. Jene Abstufungen des Ranges
und des Rechtes, die in der alten Reichsverfassung bestanden, waren
vergessen, die neuen Souveräne fühlten sich einander schlechthin gleich.
Sollte die Bundesacte überhaupt zu Stande kommen, so durfte den
Kleinstaaten keine allzu auffällige formelle Unterordnung unter die grö-
ßeren Genossen zugemuthet werden; denn, meinte Gersdorff mit jener
kindlichen Unschuld, die von jeher das Vorrecht unserer kleinstaatlichen
Diplomaten war: „man liebt den Schein der Freiheit selbst wenn man
ihr Wesen nicht zu besitzen vermag.““) Daß ein Staatenbund nur in
einer Vielheit von Staaten möglich sei, hatte Humboldt von vornherein
ausgesprochen. Zudem fiel jeder Grund für die Bildung eines Kreis-
oberstenrathes hinweg, wenn man die Kreiseintheilung selber bei der Hof-
burg nicht durchsetzen konnte. Nach der Haltung, welche die Mittelstaaten
im Fünfer-Ausschuß und in den sächsischen Händeln eingenommen hatten,
schien es auch sehr zweifelhaft, ob ein Rath von fünf, sieben oder zehn
Staaten die executive Gewalt des Bundes einträchtiger, wirksamer hand-
haben würde als ein aus allen Staaten gebildeter Bundestag.
Daher erwog Humboldt mit dem Staatskanzler schon im Januar
die Frage, ob man nicht, Angesichts der Verstimmung der Kleinstaaten
besser thue die zwei Räthe fallen zu lassen und statt ihrer eine einzige
Bundesversammlung zu bilden, welche die laufenden Geschäfte in einem
engeren Rathe, wichtigere Fragen im Plenum zu erledigen hätte; in dem
Plenum sollten alle Staaten mindestens eine Stimme, die Mediatisirten
einige Curiatstimmen erhalten. Bei der grenzenlosen Eifersucht Aller
gegen Alle erschien die nahezu vollständige Parität als das einzige
Mittel um nur irgend eine Form bündischer Einheit zu erreichen. Die
beiden Staatsmänner entwarfen sodann eine Note an Metternich, baten
um die bestimmte Erklärung: ob der kaiserliche Hof die Kreisverfassung
endgiltig ablehne? und ob er die Bildung eines einfachen Bundestages,
statt der zwei Räthe, genehmige? Dann könne ein neuer Entwurf aus-
gearbeitet werden. Preußen sei zu jedem Zugeständniß bereit: „nur drei
Punkte sind es, von denen man nicht abgehen kann: eine kraftvolle
Kriegsgewalt, ein Bundesgericht und landständische, durch den Bundes-
vertrag gesicherte Verfassungen. Ohne das Bundesgericht würde es dem
Rechtsgebäude in Deutschland an dem letzten und nothwendigsten Schlußsteine
mangeln.“““) Es waren dieselben drei Cardinalpunkte, welche Hardenberg
schon in Paris als die Hauptaufgaben der Bundesverfassung bezeichnet hatte.
*) Geredorff an Humboldt, 6. December 1814.
*.) Hardenberg und Humboldt, Entwurf einer Note an Fürst Metternich, die neue
Organisation des Bundestags betreffend. Das Concept ist undatirt, muß aber schon
im Januar geschrieben sein, da mehrere der darin enthaltenen Sätze wörtlich in der
preußischen Note vom 2./10. Februar wiederkehren.