Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

698 II. 1. Der Wiener Congreß. 
gewahr wurde, daß auch die Kleinstaaten, mit den Lippen mindestens, die 
Herstellung der Kaiserkrone forderten, nahm er seine Teplitzer Pläne wie— 
der auf, und es gelang ihm diesmal sogar den Czaren zu überzeugen. 
Alexander hatte aus den widrigen Erfahrungen der jüngsten Wochen ge— 
lernt, wie leicht sich eine österreichisch-französische Allianz gegen Rußland 
und Preußen bilden konnte, und gab sich der Hoffnung hin, der Besitz 
der deutschen Kaiserkrone würde, wie vor Alters, der Hofburg die Annähe— 
rung an die Tuilerien erschweren. Doch verfuhr er auch jetzt, wie immer 
während des Wiener Congresses, als ein zuverlässiger Freund König 
Friedrich Wilhelm's und wollte den Kaiserplan nur dann unterstützen, 
wenn Preußen von freien Stücken zustimme. So begann denn seit dem 
9. Februar, zu Hardenberg's bitterem Aerger, ein lebhafter Notenwechsel 
zwischen Stein und Capodistrias einerseits, Humboldt andererseits. Aber— 
mals führte Stein, wie einst in Teplitz, den verzwickten Gedanken aus: 
weil Oesterreich kein rein deutscher Staat sei, darum müsse der Kaiser— 
staat durch ein künstliches verfassungsmäßiges Band an Deutschland ange— 
schlossen werden. Mit unbestreitbaren Gründen zeigten der Reichsritter 
und sein russischer Gehilfe, daß eine monarchische Spitze kräftiger sei als 
eine collegialische. Ebenso unwiderleglich erwies Humboldt die Unfähigkeit 
Oesterreichs diese monarchische Macht zum Heile der Nation zu gebrauchen: 
„Deutschland widerstrebt jener österreichischen Unbeweglichkeit, für welche 
die Erfahrung nichts ist und die Jahrhunderte spurlos vorübergehen.“ 
Die Nothwendigkeit des preußischen Kaiserthums, die sich aus diesem Für 
und Wider von selber zu ergeben schien, konnte, wie die Lage war, noch 
nicht erkannt werden; saßen doch die Lothringer wieder so fest im germa— 
nischen Sattel, daß sie zuweilen schon daran dachten Preußen ganz vom 
Rücken des deutschen Rosses herunterzuwerfen! Das Ergebniß war, daß 
die Kaiserpläne begraben wurden. König Friedrich Wilhelm ließ sich durch 
Stein nicht überzeugen, obgleich sogar seine Vertrauten Wittgenstein und 
Knesebeck ihre Sehnsucht nach der Herstellung des habsburgischen Kaiser— 
thums nicht verhehlten. Humboldt behielt Recht mit seiner trockenen 
Erklärung: nur ein Bund ist jetzt noch möglich. 
Ueber diesem unfruchtbaren Zwischenspiele gingen wieder vier Wochen 
verloren, und kaum war es zu Ende, so kam am 7. März die Nach- 
richt von Napoleon's Rückkehr. Das europäische Kriegsbündniß und die 
Rüstungen drängten viele Wochen lang alle anderen Fragen in den Hin— 
tergrund. Die deutsche Verfassung schien rettungslos verloren. Auch 
der auf Preußens Antrag eingesetzte deutsche Militärausschuß, welchem 
der Kronprinz von Württemberg vorsaß, ging unverrichteter Dinge aus— 
einander; mit zorniger Scham verließ Rühle von Lilienstern diese Ver— 
sammlung, von der er gehofft hatte, sie werde die allgemeine Wehrpflicht 
für ganz Deutschland einführen. Desgleichen scheiterten die ebenfalls auf 
Preußens Betrieb berufenen Conferenzen über die deutsche Flußschifffahrt;
	        
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