Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Sachsen und das liberum veto. 705 
binden — das hieß nichts anderes als von vornherein erklären: dem 
neuen Deutschland ist nur durch das Schwert zu helfen. Und was war 
denn mit der Phrase „organische Bundeseinrichtungen“ gemeint? Auch 
darüber ward man nicht einig und vermied jede Auslegung. 
Durch diesen Beschluß war das Wenige verdorben was sich noch 
verderben ließ. In Allem und Jedem hatte der Particularismus und 
die Willkür der kleinen Kronen die Oberhand behalten. Natürlich be— 
hauptete sie ihre eigene Diplomatie und das Recht der Bündnisse; nur 
gegen den Bund und seine Mitglieder durften sie sich mit Auswärtigen nicht 
verbinden. Dadurch war nicht unbedingt ausgeschlossen, daß Deutsche 
gegen Deutsche, als Hilfstruppen fremder Mächte, zu Felde zogen. Und 
diese Gefahr lag noch immer sehr nahe. Fing doch der alte schmutzige 
Soldatenhandel wieder an: noch während des Congresses wurde ein 
nassauisches Regiment an Holland verkauft oder, wie man sich amtlich 
ausdrückte, verliehen. „Bei einmal erklärtem Bundeskriege“ sollte kein 
Bundesstaat einseitige Unterhandlungen mit dem Feinde eingehen. Was 
aber ein Bundeskrieg sei? und ob der Bund bei einem Angriffe auf die 
ausländischen Besitzungen seiner Mitglieder zum Einschreiten verpflichtet 
sei — über diese Lebensfrage konnte man sich nicht einigen. Gewiß 
war nur, daß der Bund, armseliger als ein Staat dritten Ranges, selber 
keine Angriffskriege führen durfte, denn die Bundesacte sprach nur vom 
Schutze gegen Angreifer. Nachdem die Rechte der Landstände mit einer 
Redensart abgefertigt waren, wendete sich der Uebermuth der napoleonischen 
Könige gegen die Mediatisirten. Vergeblich versuchte Preußen den Ent— 
thronten einige Curiatstimmen zu sichern; die Mittelstaaten setzten durch, 
daß diese Frage an den Bundestag verwiesen wurde, und nach Allem was 
man hier vor Augen sah wußte bereits Jedermann was eine solche Ver— 
tröstung bedeutete. Noch schlimmer erging es den Juden. Der ursprüng— 
liche Entwurf hatte ihnen „die denselben in den einzelnen Bundesstaaten 
bereits eingeräumten Rechte zugesichert. An die Stelle dieses bedeutungs— 
vollen „in“ setzte man ein „von“. Durch diese drei Buchstaben erhielten 
Hannover und Kurhessen freie Hand die Gesetze des Königreichs West— 
phalen aufzuheben und den Juden-Leibzoll wieder einzuführen; die Frank— 
furter Juden gingen der Emancipation verlustig, welche sie soeben erst 
nach Abkaufung des Judenschlosses von dem Fürsten-Primas Dalberg er— 
langt hatten. 
Auch die Hoffnung auf eine nationale Neugestaltung der katholischen 
Kirche Deutschlands schwand mehr und mehr. Wie war doch die deutsche 
Hierarchie zugerichtet worden durch die Secularisationen und die zahllosen 
anderen Gewaltthaten des napoleonischen Zeitalters. Und wie tief war 
ihre politische Machtstellung gesunken: statt jener Wolke geistlicher Fürsten 
saßen jetzt im hohen Rathe des Deutschen Bundes nur noch sechs katho— 
lische Souveräne, Oesterreich, Baiern, Sachsen, zwei Hohenzollern und 
v. Treitschke, Teutsche Geschichte. I. 45
	        
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