710 II. 1. Der Wiener Congreß.
So entstand die Bundesacte, die unwürdigste Verfassung, welche je
einem großen Culturvolke von eingeborenen Herrschern auferlegt ward,
ein Werk, in mancher Hinsicht noch kläglicher als das Gebäude des alten
Reichs in den Jahrhunderten des Niedergangs. Ihr fehlte jene Majestät
der historischen Größe, die das Reich der Ottonen noch im Verfalle um-
schwebte. Blank und neu stieg dies politische Gebilde aus der Grube,
das Werk einer kurzlebigen, in sich selbst versunkenen Diplomatie, die aller
Erinnerungen des eigenen Volkes vergessen hatte; kein Rost der Jahr-
hunderte verhüllte die dürftige Häßlichkeit der Formen. Von Kaiser und
Reich sang und sagte das Volk; bei dem Namen des Deutschen Bundes
hat niemals ein deutsches Herz höher geschlagen. Unter den Bundes-
staaten hatten nur sechs der kleinsten ihren Besitzstand seit zwanzig Jahren
nicht verändert; selbst das geduldigste der Völker konnte an die Legitimität
einer zugleich so neuen und so willkürlichen Ländervertheilung nicht mehr
glauben. Dieselbe Fremdherrschaft, die das alte Reich zu Grunde ge-
richtet, belastete auch den neuen Bund. Oesterreichs Uebermacht hatte sich
seit den Tagen Friedrich's erheblich verstärkt, sie war jetzt um so schwerer
zu brechen, da sie ihren Einfluß mittelbar, ohne die herrischen Formen
des Kaiserthums ausübte. Die auswärtigen Diplomaten lächelten schaden-
froh: wie schön, daß wir Oesterreich und Preußen zusammengekoppelt
und dadurch geschwächt haben! Das alte Reichsrecht sprach doch noch
von einer deutschen Nation; die Vorstellung mindestens, daß alle Deut-
schen ihrem Kaiser treu, hold und gewärtig seien, war niemals ganz ver-
schwunden. Die neue Bundesacte wußte gar nichts mehr von einem
deutschen Volke; sie kannte nur Baiern, Waldecker, Schwarzburg-Sonders-
hausener Unterthanen jener deutschen Fürsten, welche nach Gefallen zu
einem völkerrechtlichen Vereine zusammengetreten waren. Die Nation
mußte den Becher der Demüthigung bis zur Hefe leeren; jene württem-
bergische Mahnung: „man werde doch nicht aus verschiedenen Völker-
schaften sozusagen eine Nation bilden wollen“ hatte vollständig Recht be-
halten. Die Deutschen standen außer jeder Beziehung zu der Bundes-
gewalt, waren nicht einmal verpflichtet ihr zu gehorchen; nur wenn ein
Souverän einen Bundesbeschluß als Landesgesetz zu verkündigen geruhte,
mußten seine Unterthanen diesem Landesgesetze sich fügen. Die Nation war
mediatisirt durch einen Fürstenbund. Wie die Revolution von 1803 so
ward auch diese neue Verfassung Deutschlands ausschließlich durch die
Dynastien geschaffen.
Der neue Bundestag war der Regensburger Reichstag in etwas
modernerer Gestalt, ganz ebenso schwerfällig und unbrauchbar; daß er bald
als engerer Rath bald als Plenum tagte, war eine leere Förmlichkeit, da
auch im engeren Rathe alle Neununddreißig mitstimmten. Der Wider-
spruch zwischen dem formalen Rechte und der lebendigen Macht trat im
Deutschen Bunde sogar noch greller hervor als im heiligen Reiche. Der