Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

722 II. 2. Belle Alliance. 
ein unantastbares Werk ausbündiger diplomatischer Weisheit erschienen, 
so durften die Torys hoffen, den österreichischen Freund allmählich zu 
ihrer Anschauung hinüberzuziehen. Czar Alexander dagegen und König 
Friedrich Wilhelm konnten dem Bourbonen das Kriegsbündniß vom 3. 
Januar nicht verzeihen. Unter den preußischen Generalen war die An— 
sicht weit verbreitet, daß dies zugleich schwache und treulos undankbare 
Königshaus nicht zurückkehren dürfe; der Czar sprach mit Wärme von 
dem liberalisirenden Herzog von Orleans. Doch weder der Petersburger 
noch der Berliner Hof hatte schon einen bestimmten Plan für die Wieder— 
besetzung des französischen Thrones gefaßt; überdies stimmten die beiden 
Mächte unter sich keineswegs überein. Während die preußischen Staats- 
männer von Haus aus auf die Sicherung der deutschen Westgrenze hin- 
arbeiteten, gesiel sich der Czar wieder in überschwänglicher Großmuth. 
Den wahren Grund seiner Hochherzigkeit verrieth er einmal, als ihm der 
Ausruf entfuhr: entweder ich nehme Theil an diesem Kuchen, oder der 
Kuchen soll gar nicht gebacken werden! Rußland konnte von diesem 
Kriege nichts gewinnen, und was kümmerte ihn Deutschland wenn er 
hoffen konnte durch Freisinn und Zartgefühl den englischen Einfluß in 
Frankreich aus dem Felde zu schlagen? Schon am 25. Mai ließ er 
seinen Gesandtschaften schreiben: es besteht eine französische Nation, deren 
berechtigte Interessen nicht ungestraft geopfert werden dürfen; darum weder 
eine Herstellung der unhaltbaren alten Ordnung noch eine Demüthigung 
Frankreichs, das für die Wohlfahrt Europas unentbehrlich ist. 
Bei dieser tiefgreifenden Meinungsverschiedenheit ließ sich eine un- 
zweideutige Kriegserklärung gegen Frankreich, wie sie von Hardenberg und 
Humboldt gewünscht wurde, nicht durchsetzen. Die Coalition beschloß auf 
jede weitere öffentliche Erklärung zu verzichten und beruhigte sich bei dieser 
Halbheit um so lieber, da ja in den Wechselfällen des Krieges sich leicht 
die Gelegenheit zu bestimmteren Beschlüssen bieten konnte. Alle Welt er- 
wartete einen langen und langweiligen Krieg; war doch die Führung der 
europäischen Heere wieder in Schwarzenberg's und Langenau's bewährte 
Hände gelegt worden. Die Mächte begannen also den Feldzug in einer 
überaus unklaren völkerrechtlichen Stellung. Sie hatten den Kampf gegen 
Buonaparte angekündigt — denn so nannten sie den Imperator noch immer 
— und nachher versichert, daß sie nicht den Zweck verfolgten die Bour- 
bonen wieder einzusetzen. Sie waren unbestreitbar im Zustande des Krieges 
gegen den französischen Staat, da das Völkerrecht nur Kriege zwischen 
Staaten kennt; ob sie sich aber selber als Feinde Frankreichs betrachteten, 
das blieb Angesichts ihrer eigenen widerspruchsvollen Erklärung durchaus 
zweifelhaft. Auch die Proclamation an die Franzosen, welche Schwarzenberg 
beim Einmarsche der Heere erließ, lautete sehr unbestimmt; mit Mühe hatte 
Gagern erlangt, daß aus dem Satze „Europa will den Frieden“ minde- 
stens der gefährliche Schluß „und nichts als den Frieden"“ gestrichen wurde.
	        
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