Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Kriegsplan der Coalition. 725 
in den Niederlanden dachte man, wie vor zwei Jahren der schlesischen, 
die bescheidene Rolle eines Hilfscorps zu, und wieder wie damals sollte 
der Gang der Ereignisse aller Voraussicht spotten. 
Mit den Berathungen über den Kriegsplan verband sich ein lebhafter 
Streit über die Vertheilung der kleinen deutschen Contingente. Die Höfe 
der Mittelstaaten hielten es allesammt für ein Gebot kleinköniglicher Ehre, 
ihre Truppen lieber unter fremden als unter preußischen Oberbefehl zu 
stellen. Graf Münster meinte die Stunde gekommen um sein altes Ideal, 
die englisch-hannoversche Hegemonie in Norddeutschland zu verwirklichen, 
und warnte die kleinen Nachbarn dringend vor dem Anschluß an Preußen. 
In der That wurden außer den Niederländern auch die Hannoveraner, 
Sachsen, Nassauer und Braunschweiger dem englischen Heere Wellington's 
zugetheilt; nur ein kleines norddeutsches Bundesarmeecorps, zumeist aus 
Kurhessen bestehend, trat unter preußischen Befehl. Die süddeutschen 
Truppen zogen zu den Oesterreichern und Russen am Ober= und Mittel- 
rhein, so daß sich auch diesmal ein Gefühl nationaler Waffengemeinschaft 
nicht bilden konnte. 
Napoleon's Heer war das beste, das er je in's Feld geführt. Die aus 
der Kriegsgefangenschaft und den deutschen Festungen heimgekehrten Ve- 
teranen bildeten den Stamm seiner Regimenter. Mit abgöttischer Ver- 
ehrung blickte der gemeine Mann auf seinen kleinen Corporal; noch nie- 
mals war die Mannschaft so ganz durchglüht gewesen von Praetorianerstolz 
und leidenschaftlicher Kampflust. Aber ihren Generalen trauten sie nicht 
über den Weg, da ein Theil der Marschälle den Bourbonen treu geblieben 
war; und kehrte das Glück dem Imperator den Rücken, so stand von 
diesen tapferen Graubärten, die allesammt ihren Fahneneid gebrochen 
hatten und von den Bourbonen das Aergste befürchten mußten, wenig sitt- 
liche Widerstandskraft zu erwarten. 
Wie anders die Stimmungen im preußischen Heere! Als der König 
in einem kräftigen Aufrufe seinen Preußen sagte: „Europa kann den Mann 
auf Frankreichs Thron nicht dulden, der die Weltherrschaft als den Zweck 
seiner stets erneuerten Kriege laut verkündigte“ — da fand er überall in 
dem treuen Volke williges Verständniß. Abermals wie vor zwei Jahren 
eilte die Jugend zu den Waffen, der Landsturm und die Detachements 
der freiwilligen Jäger wurden von Neuem errichtet und abermals be- 
seelte die Kämpfer der feste Entschluß, daß dieser heilige Krieg nicht 
anders enden dürfe als mit einem ganzen und vollen Siege. Das von 
den ungeheuren Anstrengungen der jüngsten Jahre noch ganz erschöpfte 
Preußen stellte wiederum 250,000 Mann unter die Fahnen; auch die 
kleinen norddeutschen Nachbarn zeigten diesmal regeren Eifer, stellten 
etwa 70,000 Mann. An kriegerischer Erfahrung und Sicherheit kam das 
Volksheer freilich dem Feinde nicht gleich. Die Armee befand sich gerade 
in einem gefährlichen Uebergangszustande als der unerwartete Kriegsruf
	        
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