Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

756 II. 2. Belle Alliance. 
die Truppen Lobau's nicht weiter nach Osten vorgehen, wo sie das Corps 
Bülow's am Rande des breiten Lasnethals leicht aufhalten konnten, son— 
dern hielt sie nahe bei Plancenoit zurück: der Zusammenstoß mit den 
Preußen sollte so lange als möglich hinausgeschoben werden, damit die 
Armee nicht durch den Kanonendonner auf der Rechten in ihrer Sieges— 
zuversicht beirrt würde. Aus Furcht vor dem Angriff der Preußen wagte 
der Imperator auch nicht mehr, die 24 Bataillone seiner Garde, die noch 
unberührt in Reserve standen, gegen die Engländer vorzuschicken, sondern 
beschloß mit seiner gesammten Cavallerie das Centrum Wellington's zu 
durchbrechen: ein aussichtsloses Beginnen, da die Hauptmasse des Fuß— 
volks der Verbündeten noch unerschüttert war. 
Blücher war am Morgen von Wavre aufgebrochen. Die alten Glieder 
wollten sich noch gar nicht erholen von dem bösen Sturze vorgestern, doch 
wer durfte dem Helden heute von Ruhe und Schonung sprechen? „Lieber,“ 
rief er aus, „will ich mich auf dem Pferde fest binden lassen, als diese 
Schlacht versäumen!“ Wohlgemuth ritt er inmitten der Regimenter, die 
sich mit unsäglicher Anstrengung durch den tiefen Schlamm hindurch- 
arbeiteten; ein Brand in Wavre hatte den Marsch erheblich verzögert. 
Die Soldaten frohlockten wo der Feldherr sich zeigte, traten mit lautem 
Zuruf an ihn heran, streichelten ihm die Knie; er hatte für Jeden ein 
ermunterndes Wort: „Kinder, ich habe meinem Bruder Wellington ver- 
sprochen, daß wir kommen. Ihr wollt mich doch nicht wortbrüchig werden 
lassen?“ Thielmann blieb mit dem dritten Armeecorps bei Wavre zurück 
um den Rücken des Heeres gegen einen Angriff Grouchy's zu decken, der 
in der That am Nachmittage auf Wavre heranzog. Die übrigen drei 
Corps nahmen den Marsch auf Chapelle St. Lambert; um 10 Uhr waren 
die Spitzen, um 1 Uhr die Hauptmasse der Armee dort auf den Höhen 
angelangt. Nun theilte sich das Heer. Zieten mit dem ersten Corps mar- 
schirte gradaus, in der Richtung auf Ohain und weiter gegen den rechten 
Flügel der Franzosen. Bülow mit dem vierten Corps und dahinter das 
zweite Corps unter Pirch wendeten sich nach links, südwestwärts, gegen den 
Rücken der französischen Aufstellung. Das schwierige Desilé des Lasne- 
thals war zum Glücke vom Feinde nicht besetzt, der Bach ward überschritten, 
und gegen 4 Uhr ließ Bülow seine Truppen wohl verdeckt in und hinter 
dem Walde von Frichemont antreten: erst wenn eine genügende Macht zur 
Stelle war, sollte der überraschende Vorstoß erfolgen. In tiefem Schweigen 
rückten die Regimenter in ihre Stellungen ein; die Generale hielten am 
Rande des Waldes und verfolgten mit gespannten Blicken den Gang der 
Schlacht. Als einer der Offiziere meinte, der Feind werde nun wohl von 
den Engländern ablassen und um sich den Rückzug zu sichern seine Haupt- 
macht gegen die Preußen werfen, da erwiderte Gneisenau: „Sie kennen 
Napoleon schlecht. Er wird gerade jetzt um jeden Preis die englische Schlacht- 
linie zu zersprengen suchen und gegen uns nur das Nothwendige verwenden.“
	        
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