Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Anmarsch der Preußen. 757 
Und so geschah es. Noch ehe die Preußen bei dem Walde von Friche— 
mont anlangten, zwischen 3 und 4 Uhr hatte der zweite große Angriff 
der Franzosen begonnen. Ney sprengte mit vierzehn Regimentern schwerer 
Reiterei auf der Westseite der Landstraße gegen die Vierecke der englischen 
Garde und der Division Alten im Centrum heran. Lange wogte der 
Kampf unentschieden hin und her, aber das Fußvolk hielt unerschütterlich 
aus. Endlich zurückgeworfen zog Ney auch die Cavallerie Kellermann's 
an sich, so daß er jetzt 26 Reiterregimenter zu erneutem Angriff heran— 
führte, die größte Reitermasse, welche dies kriegerische Zeitalter jemals an 
einer Stelle thätig gesehen hatte. Der Boden dröhnte von dem Hufschlag 
von 10,000 Pferden, ein Wald von Säbeln und Lanzen bedeckte die Thal- 
mulde, stundenlang schwankte das Gefecht, zehn-, zwölfmal ward die Attake 
gegen einzelne Bataillone erneuert. Nochmals behielt die Standhaftig- 
keit des englischen und deutschen Fußvolks die Oberhand. Auch dieser 
Angriff scheiterte, die Schwadronen begannen zu weichen, ein kühnes Vor- 
gehen der englischen und hannoverschen Reservereiterei brachte sie vollends 
in Verwirrung; aber auch die Sieger fühlten sich tief erschöpft. 
Auf den anderen Theilen des Schlachtfeldes gestaltete sich unter- 
dessen der Gang der Ereignisse weit günstiger für Napoleon. Die Divi- 
sion Quiot, die schon an dem großen Angriffe Erlon's theilgenommen, 
ging von Neuem auf der Landstraße vor und bestürmte die Meierei von 
La Haye Sainte. Dort stand Major Baring mit einem Bataillon von 
der leichten Infanterie der Deutschen Legion und einigen Nassauern. Die 
grünen Jäger hatten schon um Mittag die Schlachthaufen Erlon's abge- 
schlagen; die treuen Männer hingen mit ganzem Herzen an ihren Offi- 
zieren, alle bis zum letzten Gemeinen zeigten sich entschlossen von diesem 
Ehrenposten nimmermehr zu weichen. Und welche Aufgabe jetzt! Schon 
brannten die Dächer des Gehöftes, die Einen mußten löschen, die Anderen 
führten aus den Fenstern, hinter den Hecken und Mauern des Gartens 
das Feuergefecht gegen die furchtbare Uebermacht draußen. Pulver und 
Blei gingen aus; vergeblich sandte Baring wiederholt seine Boten rück- 
wärts nach Mont St. Jean mit der dringenden Bitte um Munition. 
Erst als fast die letzte Patrone verschossen war, räumte die tapfere kleine 
Schaar den Platz. Wie Rasende drangen die Franzosen hinter den Ab- 
ziehenden in das Gehöft ein, durchsuchten brüllend alle Stuben und 
Scheunen: „kein Pardon diesen grünen Brigands!“ — denn wie viele 
ihrer Kameraden waren heute Mittag und jetzt wieder den sicheren Kugeln 
der deutschen Jäger erlegen! Das Vorwerk des englischen Centrums war 
genommen, und bald ergoß sich der Strom der Angreifer weiter bis nach 
Mont St. Jean. Die Mitte der Schlachtlinie Wellington's war durch- 
brochen. Da führte der Herzog selber die hannoversche Brigade Kiel- 
mannsegge herbei und ihr gelang die Lücke im Centrum vorläufig zur 
Noth wieder auszufüllen. Aber auch nur vorläufig; denn die Reserven
	        
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