Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

760 II. 2. Belle Alliance. 
drei Colonnen im Sturmschritt auf Plancenoit vor. In und neben dem 
Dorfe hielten jene zwölf frischen Bataillone der Kaisergarde; und sie 
fochten mit dem höchsten Muthe, denn Alle fühlten, daß hier die Ent— 
scheidung des ganzen Krieges lag. Die anstürmenden Preußen sahen sich 
im freien Felde den Kugeln der Vertheidiger, die in den Häusern und 
hinter den hohen Mauern des Kirchhofs verdeckt standen, schutzlos preis— 
gegeben. Dieser letzte Kampf ward fast der blutigste dieses wilden Zeit— 
alters; das Corps Bülow's verlor in viertehalb Stunden 6353 Mann, 
mehr als ein Fünftel seines Bestandes, nach Verhältniß ebenso viel wie 
die englische Armee während des ganzen Schlachttages. Der erste und 
der zweite Sturm ward abgeschlagen; da führte Gneisenau selbst die schle— 
sischen und pommerschen Regimenter zum dritten male vorwärts, und jetzt 
gegen 8 Uhr drangen sie ein. Noch ein letzter wüthender Widerstand in 
der Dorfgasse, dann entwich die Garde in wilder Flucht; ihr nach Major 
Keller mit den Füsilieren des 15. Regiments, dann die anderen Bataillone. 
Auf der ganzen Linie erklang in langgezogenen Tönen das schöne Signal 
der preußischen Flügelhörner: Avanciren! Zu gleicher Zeit ward weiter 
nördlich das Corps Lobau's von Bülow's Truppen in der Front, von 
Zieten's Reitern in der Flanke gepackt und völlig zersprengt. Die beiden 
Heertheile der Preußen vereinigten sich hier; der furchtbare Ring, der den 
rechten Flügel der Franzosen auf drei Seiten umklammern sollte, war 
geschlossen. Von Norden drängten die Engländer, von Osten und Süden 
die Preußen heran. Den Truppen Zieten's wies Grolman die Richtung 
nach der Höhe hinter dem Centrum der Franzosen, nach dem Pachthof 
La Belle Alliance, der mit seinen weißen Mauern weithin erkennbar wie 
ein Leuchtthurm über dem tiefen Gelände emporragte. Dorthin nahmen 
auch die Sieger von Plancenoit ihren Weg. 
Ueber 40,000 Preußen hatten noch am Gefechte theilgenommen, und 
jetzt da die Arbeit fast gethan war kam auch das Armeecorps Pirch's von 
den Höhen hinter Plancenoit herab. Napoleon war während dieser letzten 
Stunde nach La Haye Sainte vorgeeilt um die Division Quiot noch 
einmal zum Angriff auf Mont St. Jean vorzutreiben. Sobald er zu 
seiner Linken die Niederlage Ney's und gleichzeitig den Zusammenbruch 
des gesammten rechten Flügels bemerkte, sagte er wie vernichtet: „es ist 
zu Ende, retten wir uns!“ Er eilte an der Landstraße zurück, nicht ohne 
schwere Gefahr, denn schon ward die Straße zugleich von den Engländern 
und von Zieten's Batterien mit einem heftigen Kreuzfeuer bestrichen. 
Schweigsam, unbeweglich, mit wunderbarer Selbstbeherrschung sah 
Wellington auf die ungeheure Verwirrung. Sein Heer war nicht nur 
völlig ermattet, sondern auch in seiner taktischen Gliederung ganz gebrochen; 
der lange Kampf hatte alle Truppentheile wirr durcheinander geschüttelt, 
aus den Trümmern der beiden prächtigen Reiterbrigaden Ponsonby und 
Somerset stellte man soeben zwei Schwadronen zusammen. Keine Mög—
	        
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