Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die Entscheidung bei Plancenoit. 761 
lichkeit, mit solchen Truppen noch ein entscheidendes Gefecht zu bestehen. 
Der Herzog wußte wohl, daß allein das Erscheinen der Preußen ihn vor 
einer unzweifelhaften Niederlage bewahrt hatte; seine wiederholten dringen— 
den Bitten an Blücher lassen darüber keinen Zweifel. Doch er war dem 
militärischen Ehrgefühle seiner Tapferen eine letzte Genugthuung schuldig; 
auch sah er mit staatsmännischer Feinheit voraus, wie viel gewichtiger 
Englands Wort bei den Friedensverhandlungen in die Wagschale fallen 
mußte, wenn man sich so anstellte, als hätten die britischen Waffen die 
Schlacht im Wesentlichen allein entschieden. Darum ließ er, sobald er 
den rechten Flügel der Franzosen dem preußischen Angriffe erliegen sah, 
alle irgend verwendbaren Trümmer seines Heeres noch eine Strecke weit 
vorrücken. Auf diesem letzten Vormarsch trieb der hannoversche Oberst 
Halkett die beiden einzigen Vierecke der Kaisergarde, die noch zusammen- 
hielten, vor sich her und nahm ihren General Cambronne mit eigenen 
Händen gefangen. Aber die Kraft der Ermüdeten versagte bald, sie ge- 
langten nur wenig über Belle Alliance hinaus. Wellington überließ, 
nachdem er den Schein gerettet, die weitere Verfolgung ausschließlich den 
Preußen, die ohnehin dem Feinde am nächsten waren. 
Die Geschlagenen ergriff ein wahnsinniger Schrecken. Kein Befehl 
fand mehr Gehör, Jeder dachte nur noch an sein armes Leben. Fußvolk 
und Reiter wirr durcheinander, flohen die aufgelösten Massen auf und 
neben der Landstraße südwärts; die Troßknechte zerhieben die Stränge 
und sprengten hinweg, so daß die 210 Kanonen allesammt bis auf etwa 27 
in die Hände der Sieger fielen. Selbst der Ruf L'Empereur! der sonst 
augenblicklich jeden Weg dem kaiserlichen Wagen geöffnet hatte, verlor 
heute seinen Zauber; der kranke Napoleon mußte zu Pferde davonjagen, 
obgleich er sich kaum im Sattel halten konnte. Nur um die Fahnen 
schaarten sich immer noch einige Getreue; ihrer vier waren in der Schlacht 
verloren gegangen, die übrigen wurden allesammt gerettet. Niemals in 
aller Geschichte war ein tapferes Heer so plötzlich aus allen Fugen ge- 
wichen. Nach der übermenschlichen Anstrengung des Tages brach alle 
Kraft des Leibes und des Willens mit einem Schlage zusammen; das 
Dunkel der Nacht, die Uebermacht der Sieger, der umfassende Angriff 
und die rastlose Verfolgung steigerten die Verwirrung. Entscheidend blieb 
doch, daß diesem Heere bei all seinem stürmischen Muthe die sittliche Größe 
fehlte. Was hielt diese Meuterer zusammen? Allein der Glaube an 
ihren Helden. Nun dessen Glücksstern verbleichte, waren sic nichts mehr 
als eine zuchtlose Bande. 
Die Sonne war schon hinter dicken Wolken versunken, als die beiden 
Feldherren eine Strecke südlich von dem Hofe von Belle Alliance mit ein- 
ander zusammen trafen; sie umarmten sich herzlich, der bedachtsame Vier- 
ziger und der feurige Greis. Nahebei hielt Gneisenau. Endlich doch ein 
ganzer und voller Sieg, wie er ihn so oft vergeblich von Schwarzenberg
	        
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