Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Treffen bei Wavre. 765 
durch mehrfache Entsendungen geschwächt, zählte nur 16,000 Mann, halb 
so viel wie vor drei Tagen; die Soldaten fühlten sich tödlich erschöpft, 
und zudem wußte man nichts Sicheres über Grouchy's Stellung. Was 
Wunder, daß der Nachtmarsch nur langsam von statten ging? Aber bei 
größerer Rührigkeit seines Generalstabs mußte der General am 19. er- 
fahren, wo Grouchy zu finden sei. Dies ward versäumt. Erst am 20. kam 
die Nachricht, daß der Marschall in der Nacht, ohne einen Schuß zu thun, 
unweit der Vorposten nach der Sambre zu vorübergezogen und also den 
beiden Corps von Pirch und Thielmann glücklich entschlüpft war. Pirch 
eilte sofort nach, traf die Nachhut bei Namur, nahm die Stadt nach einem 
blutigen Gefechte an den Thoren, aber die Hauptmacht Grouchy's war 
schon in Sicherheit. So geschah es, daß den Franzosen vorläufig noch 
ein leidlich geordnetes Heer von 30,000 Mann übrig blieb, das vielleicht 
den Kern für eine neue Armee bilden konnte. 
Die beiden Feldherren verständigten sich schnell über den gemeinsamen 
Einmarsch in das Innere Frankreichs, wobei die Preußen wieder die Spitze 
nehmen sollten; nur gingen Beide von grundverschiedenen Absichten aus. 
Blücher wollte einfach die Unterwerfung des verhaßten Landes vollenden 
bis die Monarchen das Weitere verfügten; Wellington wünschte den legi- 
timen König schleunig in die Tuilerien zurückzuführen. Und wie viel 
vortheilhafter war die politische Stellung des Briten! Während Blücher, 
ohne Kenntniß von den Plänen seines Hofes, sich begnügen mußte seinen 
Generalen jeden amtlichen Verkehr mit den Bourbonen zu verbieten, ging 
Wellington, unbekümmert um die Wünsche der Bundesgenossen, ruhig auf 
sein sicheres Ziel los, forderte den Genter Hof auf, dem englischen Heere 
nachzuziehen. 
Die Entscheidung des Krieges fiel so wunderbar rasch, daß jene 
Mächte, welche eine neue Restauration nicht wünschten, sich gar nicht auf 
die veränderte Lage vorbereiten konnten. König Ludwig war noch der von 
allen Mächten anerkannte König von Frankreich, das gesammte diplo- 
matische Corps hatte ihn nach Gent begleitet, und den Vorstellungen der 
fremden Staatsmänner glückte es, den gefährlichen Einfluß des Grafen 
Blacas zu beseitigen, den König für eine gemäßigtere Richtung zu ge- 
winnen. Einer ersten, unklugen und übermüthigen Proclamation folgte 
schon am 28. Juni eine zweite voll freundlicher Verheißungen. Der Bour- 
bone versprach, sich abermals zwischen die alliirten und die französischen 
Armeen zu stellen, „in der Hoffnung, daß die Rücksichten, welche man 
mir zollt, zu Frankreichs Heile dienen werden;“ er verwahrte sich feierlich 
gegen die Wiederherstellung der Zehnten und grundherrlichen Rechte, gegen 
die Rückforderung der Nationalgüter. Wellington trug kein Bedenken, 
den Friedensdeputationen, welche ihm die Hauptstadt zusendete, zu er- 
klären, die Bedingungen der Sieger würden um Vieles härter werden, 
wenn die Nation ihren König nicht zurückriefe. Und seltsam, der russische
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.