Napoleon's zweite Entthronung. 767
er auch richtig, daß es den Eroberern übel anstand ihren Sieg durch
eine Gewaltthat zu beslecken. In Blücher's Hauptquartier dagegen flammte
der alte Haß gewaltig auf: so viele deutsche Männer lagen abermals in
ihrem Blute durch die Schuld dieses einen Mannes! Blücher vermaß
sich, er wolle den Unhold, wenn er ihn finge, im Schlosse von Vincennes
erschießen lassen, auf derselben Stelle, wo einst der Herzog von Enghien
ermordet wurde; denn wozu sonst die Wiener Achtserklärung gegen den
Störer der öffentlichen Ruhe? Erst auf Wellington's dringende Bitten
gab er den grimmigen Plan auf und fügte sich „der theatralischen Groß-
muth“, wie Gneisenau erbittert schrieb, „aus Achtung für den Charakter
des Herzogs und — aus Schwäche"“. Dagegen setzte der preußische Feld-
herr durch, daß der Marsch bis nach Paris fortgesetzt wurde, während
der Engländer der Hauptstadt die neue Demüthigung lieber ersparen und
seinen bourbonischen Schützling allein einziehen lassen wollte. Blücher
blieb standhaft, stellte den Friedensgesandten der Pariser so strenge Be-
dingungen, daß die Fortsetzung des Krieges unvermeidlich wurde.
Das preußische Heer drang unaufhaltsam vor, den Engländern weit
voran; auch der Festungskrieg ward mit Nachdruck begonnen, so daß noch
vierzehn feste Plätze ihre Thore den Deutschen öffnen mußten. Das Volk
betrug sich überall tief feindselig; die Franzosen ließen sich's nicht nehmen,
daß dieser neue Krieg der Coalition ein himmelschreiendes Unrecht sei.
Auch die Preußen traten härter und schroffer auf als im vorigen Jahre.
Gneisenau hoffte die Armee Grouchy's an der Oise von Paris abzuschneiden.
Dies gelang nicht; immerhin wurden die Truppen des Marschalls durch
die rastlose Verfolgung fast ebenso vollständig aufgelöst wie die Besiegten
von Belle Alliance. Der kühne Parteigänger Major Frankenhausen ließ
ihnen nirgends Ruhe, er bewährte wieder den alten Ruhm der preußi-
schen Reiterei, die sonst in diesem Kriege wenig Gelegenheit zur Auszeich-
nung fand. In den Gefechten von Compiegne und Villers Cotterets
leisteten die Franzosen nur schwächlich Widerstand. Die Geschlagenen
entkamen in aufgelösten Schaaren in die Hauptstadt, und mit ihnen gebot
Davoust, der Oberbefehlshaber von Paris, noch über 70,000 Mann; doch
was war von diesen muth= und zuchtlosen Haufen zu erwarten? Am
29. Juni langte Blücher in Gonesse an, wenige Stunden nördlich von
Paris; der liebliche Kessel des Seinethales lag dicht vor seinen Blicken.
Sein Heer hatte die 36 Meilen von dem belgischen Schlachtfelde in elf
Tagen, mit nur einem Ruhetage, zurückgelegt.
Hier im Hauptquartier zu Gonesse kam ein böser Tag für Gneisenau.
Das zieht die Herzen so mächtig zu dem Bilde dieses großen Deutschen
hin, daß er in Allem so einfach menschlich war und darum auch einmal
recht menschlich bitter und ungerecht werden konnte. So widerfuhr es
ihm heute. Er wußte, daß er der eigentliche Feldherr dieses Krieges ge-
wesen, daß der rettende Gedanke der Vereinigung der beiden Heere allein