Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

768 II. 2. Belle Alliance. 
aus seinem Kopfe entsprungen war; nun mußte er hören, wie die Ver— 
bündeten Wellington als den ersten Helden priesen, diesen Briten, der 
wohl auf dem Schlachtfelde hohe Umsicht und Ausdauer gezeigt, doch bei 
der Leitung des Feldzugs Fehler auf Fehler gehäuft hatte. Eine tiefe 
Bitterkeit überkam ihn, wenn er sein ruhmlos verborgenes Wirken, alle 
die so lange schweigsam ertragenen Kränkungen der letzten Jahre über— 
dachte. Wie abenteuerlich hatte das Schicksal mit ihm gespielt, von Kindes— 
beinen an! In Schilda, dem sächsischen Abdera war er zur Welt ge— 
kommen, mitten im Wirrwarr des Kriegslagers der Reichsarmee, unter 
den Feinden Preußens; die preußischen Kanonen brummten dem Kinde 
das Wiegenlied, und wenig fehlte, so wäre der Knabe auf dem Rückzuge 
in der Nacht nach der Torgauer Schlacht von den Hufen der Pferde zer— 
treten worden, hätte ihn ein mitleidiger Grenadier nicht aufgehoben. 
dachher die öde freudlose Zeit, da er in Schilda barfuß die Gänse hütete, 
bis endlich die katholischen Verwandten in Würzburg sich seiner erbarmten. 
Der Heimathlose wußte niemals recht, zu welchem deutschen Stamme 
noch zu welcher Kirche er eigentlich gehörte. Dann die wilden tollen 
Studentenjahre in Erfurt, eine kurze Dienstzeit bei den österreichischen 
Reitern, eine Fahrt nach Amerika mit den Unglücklichen, die der Ans— 
bacher Markgraf den Briten verkaufte. Darauf der preußische Dienst: 
im Anfang glänzende, überschwängliche Hoffnungen, dann wieder die leere 
Nichtigkeit des subalternen Lebens, so armselig, so niederdrückend, daß 
dieser Feuergeist, der sich einst fast in seinen eigenen Gluthen verzehrt 
hatte, jetzt ernstlich Gefahr lief zum Philister zu werden. Als dann die 
weltverwandelnden Geschicke über Preußen hereinbrachen, da jauchzte der 
Genius in ihm auf; durch ihn errang das gedemüthigte Heer den ersten 
Erfolg, seit Scharnhorst's Tode durfte sich Niemand mehr mit ihm ver— 
gleichen. Und was war sein Lohn? Die Offiziere des Generalstabs, die 
den Zauber des Genies im täglichen Umgang empfanden, wußten freilich 
wohl, was Deutschland an diesem Manne besaß; sie kamen sich vor wie 
in der verkehrten Welt, wenn sie diesen geborenen Herrscher mit dem 
Federhute in der Hand ehrerbietig neben dem Czaren stehen sahen. Aber 
wenn die Soldaten den alten Blücher mit donnerndem Hurrah begrüßten, 
so bemerkten sie kaum den unbekannten General an der Seite des Feld— 
marschalls. Bülow hatte seinen Namen in die Tafeln der Geschichte 
eingetragen, von Gneisenau wußte sie nichts. Er glaubte älter zu sein, 
als alle Generale der Infanterie und war noch immer Generalleutnant, 
hatte nie ein selbständiges Commando geführt, trug weder den schwarzen 
Adlerorden noch das große eiserne Kreuz. Der König liebte ihn nicht, 
das boshafte Geflüster unter den Hofleuten hörte nicht auf; er fühlte sich 
seiner Stellung im Heere so wenig sicher, daß er erst kürzlich den Staats- 
kanzler gebeten hatte ihm doch für die Friedenszeiten das Amt des General- 
postmeisters zu verschaffen. Wie fern lag ihm alle Ueberhebung, wie oft
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.