Die Getreidesperre. 173
der Krieg so gänzlich verwüstet, daß die Getreidezufuhr zu Lande auf weitere
Entfernungen unmöglich war; konnten doch selbst die Postwagen im Winter
mit sechzehn, zwanzig Pferden Vorspann oft kaum durchkommen. Daher
stand im Jahre 1818 der Preis des Scheffels Weizen am Rhein um
2 Tlr. 9 Sgr. 6 Pfg. höher als in Posen, während in den fünfziger
Jahren der höchste Preisunterschied innerhalb der preußischen Monarchie
nur 10 Sgr. 7 Pfg. betrug. Und dieser ohnehin kümmerliche Verkehr
ward jetzt vollends zerstört durch die törichte Bosheit des Partikularismus.
Osterreich verbot, seinen altväterischen volkswirtschaftlichen Grundsätzen
gemäß, sofort nach Eintritt der Teuerung die Ausfuhr des Getreides und
gab damit das Signal zu einem allgemeinen Zollkriege in Süddeutschland.
Auch Bayern, Württemberg, Baden, Darmstadt sperrten ihre Grenzen; der
Getreidehandel im Oberlande stockte gänzlich. In Frankfurt ging das Futter
aus, die Bundesgesandten zitterten für ihre Wagenpferde, und Graf Buol
mußte im Namen seiner Genossen eine Bittschrift an die Krone Bayern
schicken, damit eine Hafersendung, die bei Wertheim auf dem Maine lag,
von der bayrischen Maut endlich durchgelassen wurde.) Auch im Norden
geschahen manche arge Mißgriffe. Minister Bülow verwendete die zwei
Millionen Tlr., welche der König zum Ankauf baltischen Getreides be-
willigt hatte, so leichtsinnig, daß den schwer heimgesuchten Rheinlanden
wenig davon zu gute kam. Immerhin zeigte sich die Mehrzahl der nord-
deutschen Regierungen ehrlich bemüht, durch Erleichterung des Verkehrs
den Notstand zu bekämpfen. Nachdem die süddeutschen Höfe einander
mehrere Monate hindurch mit widerwärtigen Vorwürfen überschüttet und
ihre Länder wechselseitig ausgehungert hatten, wendete sich Württemberg
endlich an den Bund und beantragte schleunige Aufhebung der Sperre
durch Bundesbeschluß (19. Mai 1817). Offenbar in der Absicht alles zu
vereiteln stellte Bayern darauf den Gegenantrag: die Maßregel müsse auch
auf die nichtdeutschen Provinzen Osterreichs, Preußens und der Nieder-
lande ausgedehnt werden. Preußen und die Mehrheit der übrigen Staaten
stimmten dem Vorschlage Württembergs zu; die Hofburg aber ließ, nach ihrer
Gewohnheit, den Präsidialgesandten acht Wochen lang ohne Instruktion.
Da kam die Güte der Natur dem Bundestage zu Hilfe; die Felder
prangten in reichem Ahrenschmucke, die Preise fielen, und befriedigt konnte
Buol am 14. Juli in seinem klassischen Deutsch der Versammlung ver-
künden: er kenne zwar noch immer nicht die Absichten seines Hofes, dies
schade aber wenig, „da die Aussicht zu einer so gesegneten reichen Ernte
die Sperre von selbst aufhebt". Im folgenden Jahre beriet man noch-
mals über gemeinsame Maßregeln für die Zukunft, und nochmals zeigte
Bayern seinen bösen Willen, bis endlich der Präsidialgesandte (9. Juli 1818)
dies Schauspiel bundesgenössischer Eintracht mit den Worten schloß: die
*) Berstetts Bericht, 20. Mai 1817.