Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Die Universitäten. 11 
lehrsamkeit, die sächsischen Fürstenschulen und die württembergischen Klo- 
sterschulen, entließen ihre Primaner zur Universität sobald die Lehrer die 
Zeit gekommen glaubten, und der Staat meisterte sie nicht. Auch zum 
Eintritt in den Staats= und Kirchendienst der Kleinstaaten wurden die 
jungen Männer, wenn sie von der Hochschule heimkehrten, meist noch 
nach der alten patriarchalischen Weise, durch Gunst und Empfehlung zu- 
gelassen. Nur in Preußen hatte sich schon seit der Verwaltungsorgani- 
sation Friedrich Wilhelms I. ein System geregelter Staatsprüfungen aus- 
gebildet, und von hier drang diese mechanische Ordnung, die allerdings 
gerechter und durch die mannigfaltigen Verhältnisse eines Großstaates 
geboten war, allmählich in die kleineren Staaten hinüber. Doch wurden 
auch hier noch mäßige Anforderungen gestellt, da der Staat für seine 
neuen Provinzen viele junge Beamte brauchte. Der idealistische Zug der 
Zeit ließ das ängstliche Brotstudium nicht aufkommen. Die Jugend 
genoß noch der ungetrübten akademischen Freiheit; jeder hörte und lernte 
wozu der Geist ihn trieb, wenn er nicht vorzog die goldenen Burschen- 
tage ganz und gar in unbändigem Genusse zu durchschwelgen. 
So lebten die kleinen gelehrten Republiken dahin, glückliche Frei- 
stätten der vollkommenen geselligen Gleichheit und Ungebundenheit, wie 
emporgehoben über die gemeine Bedürftigkeit des Lebens. Große Talente, 
die in jedem anderen Lande eine weite Bühne für ihr Wirken verlangt 
hätten, fühlten sich glücklich in der Armut und Enge dieser kleinen Uni- 
versitätsstädte mit ihren alten Schlössern und winkligen Gassen, wo jedes 
Haus an einen lustigen Burschenwitz oder an einen berühmten Gelehrten 
erinnerte. Hier war die Wissenschaft alles; umgeben von der Verehrung 
dankbarer Zuhörer blickte der Gelehrte mit naivem Selbstgefühl um sich. 
Oft platzten die Geister rechthaberisch, nach deutscher Weise, aufeinander; 
der wissenschaftliche Gegner ward leicht wie ein Tempelschänder angesehen, 
da jeder mit ganzem Herzen an seiner Forschung hing. Jedoch der ge- 
meine Ehrgeiz ergriff diese schlichten, genügsamen Menschen wenig. Sie 
rechneten sich's zur Ehre den Glanz und das Behagen des äußeren Da- 
seins zu verachten; sie glaubten noch alle an den stolzen Ausspruch Schil- 
lers: „und am Ende sind wir ja Idealisten und würden uns schämen 
uns nachsagen zu lassen, daß uns die Dinge formten und nicht wir die 
Dinge.“ 
Noch nach Jahrzehnten erzählte man in Tübingen von dem reichen 
Buchhändler Cotta, der zuerst den unerhörten Luxus eines Sofas in 
die anspruchslose Musenstadt eingeführt hatte. Die jugendliche Unfertig- 
keit unserer Kultur, die von vielseitiger großstädtischer Geselligkeit noch 
nichts wußte, kam der Andacht, der friedlichen Sammlung des wissen- 
schaftlichen Arbeitens zu gute. Wie einst die klassische Dichtung so blieb 
auch die neue Forschung in stolzer Freiheit, fast unberührt von Hofgunst 
und amtlichem Einfluß; selbst die hereinbrechende Demagogenverfolgung
	        
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