Schön und die Oberpräsidenten. 199
straffere Zentralisation ertrage der so bunt zusammengesetzte Staat nicht,
und wie leicht könne die Macht der neuen Fachminister in einen gefähr—
lichen Despotismus ausarten!) Der Ruf nach Herstellung der Pro—
vinzialministerien ward bald ein Losungswort für den Partikularismus
der altständischen Adelspartei und fand auch Anklang bei einem Teile
der Oberpräsidenten. Diese hohen Beamten fühlten sich allesamt unbe-
haglich in ihrer schwierigen, noch nirgends klar begrenzten Mittelstellung
zwischen den Ministerien und den Bezirksregierungen; stolz auf ihre be-
währte Kraft standen sie ihren Vorgesetzten mit jener trotzigen Amtseifer-
sucht gegenüber, die dem preußischen Beamtentum von jeher eigen war,
und da sie in ihren Provinzen fast nur Klagen über die ungewohnten
neuen Verhältnisse vernommen hatten, so überboten sie einander in düsteren
Berichten, sie bestärkten sich wechselseitig in ihrem Mißmut und gerieten
allmählich unter die Leitung Schöns, des Mannes, in dem sich die ganze
unfruchtbare Verdrießlichkeit dieser Ubergangslehre verkörperte.
In den ersten Zeiten der Hardenbergischen Verwaltung hatte Schön,
gleich Sack und vielen anderen tüchtigen Beamten, zur Einführung des Prä-
fektensystems geraten; seit er selbst Oberpräsident von Westpreußen geworden,
empfahl er ebenso lebhaft eine fast unbeschränkte Selbständigkeit der Pro-
vinzialbehörden. Welche Lebensstellung hätte auch dem ewig Unbefriedigten
je genügen können? Die Abhängigkeit von den Ministern siel seinem über-
spannten Selbstgefühle um so lästiger, da er sich bereits ein Idealbild von
der Geschichte der letzten Jahre zurechtgelegt hatte, in dessen Vordergrunde er
selber inmitten seiner altpreußischen Freunde glänzte. Eine unruhige Einbil-
dungskraft verband sich in seinem Geiste seltsam mit dialektischem Scharfsinn.
Wenn er erzählte — oft viele Stunden lang mit unaufhaltsamer Lebendig-
keit und starker Leidenschaft — dann überkam die Zuhörer schnell das Ge-
fühl, daß die Phantasie mit ihm durchging: durch ihn waren dem ideen-
losen Stein die leitenden Gedanken des gesamten Reformwerks geschenkt
worden, während er in Wahrheit nur an einem einzigen jener grundlegenden
Gesetze, an dem Edikte über die Aufhebung der Erbuntertänigkeit, wirksam
teilgenommen hatte; er allein hatte im Frühjahr 1813 die Provinz Preußen
vor Steins moskowitischen Eroberungsplänen gerettet; durch seine Freunde,
die Führer des Königsberger Landtags, war der große Liniensoldat Scharn-
horst wider Willen zur Bildung der Landwehr genötigt worden. Solche
Märchen wiederholte er beharrlich in Wort und Schrift, bis er endlich
selbst daran glaubte; er fühlte kaum noch wie schwer er sich an dem Ruhm
größerer Männer verfündigte, und bekannte sich, derweil er in eitlem Selbst-
lob schwelgte, ganz unbefangen zu dem Wahlspruch: „tue das Gute und
wirf es ins Meer; sieht es der Fisch nicht, sieht es der Herr!“ Geistreich,
beredt, vielseitig gebildet, ein Schüler Kants und Freund von Fichte und
Niebuhr, unterhielt er mit der gelehrten Welt einen regen Verkehr, so daß
*) Klewitzs Denkschriften an Hardenberg vom 24. Sept. 1816 und 20. Febr. 1817.