218 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
erwarten, daß der mecklenburgische Adel auf seine Zollfreiheit, der sächsische
auf die mit den ständischen Privilegien fest verkettete Generalakzise ver—
zichten würde, so lange die ständische Oligarchie in diesen Landen unge—
stört herrschte? Wie war es möglich, die preußischen Zölle, welche die Ein—
heit des Staatshaushaltes voraussetzten, in Hannover einzuführen, wo
noch die königliche Domänenkasse und die ständische Steuerkasse selbständig
neben einander standen? Das Zollwesen hing überdies eng zusammen mit
der Besteuerung des inländischen Konsums; nur wenn die Kleinstaaten
sich entschlossen das System ihrer indirekten Steuern auf preußischen
Fuß zu setzen oder doch dem preußischen Muster anzunähern, war eine
ehrliche Gegenseitigkeit, eine dauernde Zollgemeinschaft zwischen ihnen mög—
lich. Und ließ sich solche Opferwilligkeit erwarten in jenem Augenblicke,
da der Rheinbund und das Ränkespiel des Wiener Kongresses den selbst—
süchtigen Dünkel der Dynastien krankhaft aufgeregt und jeder Scham
entwöhnt hatten? Selbst jene Staaten, denen redlicher Wille nicht fehlte,
konnten gar nicht sofort auf die harten Zumutungen eingehen, welche
Preußen ihnen stellen mußte, um sich den Ertrag seiner Zölle zu sichern.
Man mußte, so gestand Eichhorn späterhin, sich erst orientieren in der ver—
änderten Lage, die nationalökonomischen Bedürfnisse des eigenen Landes und
die zur Deckung der Staatsausgaben notwendigen Opfer überschlagen;
„bevor man hierüber ins Klare gekommen, konnte man sich von einer ge-
meinsamen Beratung keinen Erfolg versprechen, am wenigsten von einer
Beratung für ganz Deutschland am Bundestage.“)
Wie die Dinge lagen mußte Preußen selbständig vorgehen ohne jede
schonende Rücksicht für die deutschen Nachbarn. Unter den gemütlichen
Leuten herrschte die Ansicht vor, Preußen solle die Binnengrenzen gegen
Deutschland offen halten und allein an den Grenzen gegen das Ausland
Zölle erheben. Der kindische Vorschlag hätte, ausgeführt, jede Grenz-
bewachung unmöglich gemacht, die finanziellen wie die volkswirtschaftlichen
Zwecke der Zollreform völlig vereitelt. Selbst eine mildere Besteuerung
deutscher Produkte war unausführbar. Gerade die deutschen Kleinstaaten
mit ihren verzwickten, mangelhaft oder gar nicht bewachten Grenzen mußten
der preußischen Staatskasse als die gefährlichsten Gegner erscheinen. Ur-
sprungszeugnisse, von solchen Behörden ausgestellt, boten den genauen
Rechnern der Berliner Bureaus keine genügende Sicherheit. Jede Er-
leichterung, die an diesen Grenzen eintrat, ermutigte den Unterschleif, so
lange nicht eine geordnete Zollverwaltung in den kleinen Nachbarstaaten
bestand. Noch mehr: gewährte Preußen den kleinen Staaten Begün-
stigungen, so griff das Ausland unfehlbar zu Retorsionen, und der Staat
wurde allmählich in ein Differentialzollsystem hineingetrieben, das den Ab-
sichten seiner Staatsmänner schnurstracks zuwiderlief. Differentialzölle er-
*) Eichhorn, Instruktion für die Gesandten an den deutschen Höfen, 25. März 1828.