Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Rechtspflege. Beymc. 221 
unselige Gesetz in Kraft trat, ein Zollbeamter zu Langensalza von einem 
gothaischen Patrioten im Rausche heiligen Zornes erstochen worden; der 
Mann hatte sich aber selbst entleibt. Da hieß es wehmütig, König Friedrich 
Wilhelm hege wohl menschenfreundliche Absichten, aber „finanzielle Rück- 
sichten vergiften die besten Maßregeln;“" für die harte Notwendigkeit dieser 
finanziellen Rücksichten hatte man kein Auge. Die ersehnte Einheit des 
deutschen Marktes — darüber bestand unter den liberalen Patrioten kein 
Streit — konnte nur gelingen, wenn die bereits vollzogene Einigung der 
Hälfte Deutschlands wieder zerstört wurde. 
Unbekümmert um die allgemeine Entrüstung hielt Klewitz die Zoll- 
reform aufrecht. In der Gewerbepolitik dagegen zeigte die Regierung ge- 
ringere Festigkeit gegen die hochkonservativen Vorurteile der Zeit. Immer 
wieder mußten kundige Beamte in der Staatszeitung die Vorzüge des 
freien Gewerbes ungläubigen Lesern schildern. Dennoch wagte man nicht, 
das Gewerbegesetz von 1811 in den neuen Provinzen einzuführen, sondern 
ließ einen widerspruchsvollen Zustand, der sich mit der Einheit des Markt- 
gebietes kaum vertrug, während eines vollen Menschenalters unangetastet; 
in Sachsen blieb das alte Zunftwesen bestehen, in den rheinisch-westfä- 
lischen Landen und in den alten Provinzen herrschte die Gewerbefreiheit, 
hier nach preußischem, dort nach französischem Gesetze. — 
Die letzte Epoche König Friedrich Wilhelms III. zeigte sich der Re- 
gierung des ersten Friedrich Wilhelm auch darin ähnlich, daß die Rechts- 
pflege von der reformatorischen Tätigkeit der Staatsgewalt am wenigsten 
berührt wurde. Es blieb bei der alten Regel, daß dieser Staat niemals 
imstande war, auf allen Gebieten des Lebens zugleich rüstig fortzu- 
schreiten. Savigny hatte doch recht gesehen als er seiner Zeit den Beruf 
zur Gesetzgebung für das bürgerliche Recht absprach. Die große Kodi- 
fikation des Allgemeinen Landrechts lag erst um ein Menschenalter zurück 
und wurde von der Mehrzahl des altpreußischen Richterstandes noch mit 
begreiflichem Stolze als ein Meisterwerk geschätzt, während die Wissenschaft 
zwar den Anschauungen Suarez's längst entwachsen aber noch nicht zu 
sicheren neuen Ergebnissen gelangt war. Der gesunde Sinn des Königs 
verkannte nicht, daß die alte Gliederung der Stände, welche dem Landrechte 
zugrunde lag, durch die Reformen von 1807 längst beseitigt war; und 
da auch der Zivilprozeß sowie das Strafrecht dringend der Neugestaltung 
bedurfte, so wurde Beyme mit der Revision der fridericianischen Gesetz- 
bücher beauftragt. Der aber erwies sich, trotz seines liberalen Rufs, aber- 
mals ebenso unfruchtbar, wie einst im Ministerium Dohna-Altenstein, da 
ihn der König so oft vergeblich an die Aufhebung der Patrimonialgerichte 
gemahnt hatte, und brachte in den zwei Jahren seiner Amtsführung nichts 
Wesentliches zustande. Für eine durchgreifende Umgestaltung der fride- 
ricianischen Gesetzbücher war die Zeit noch nicht gekommen, und doch ging 
es auch nicht an, diese halb veraltete Gesetzgebung, deren Mängel die
	        
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