Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Provinz Posen. 245 
wieder mit ihrer alten Heimat, dem Ordenslande, und bildete aus der 
Hauptmasse, nebst einigen westpreußischen Gebietsteilen, eine neue Pro— 
vinz; sie erhielt den Namen des Großherzogtums Posen, der staatsrechtlich 
ebenso bedeutungslos war wie die neuen Titel des Großherzogtums Nie— 
derrhein und des Herzogtums Sachsen. Noch von Wien aus erließ der 
König eine Proklamation an die Einwohner, worin es hieß: „Auch Ihr 
habt ein Vaterland und mit ihm einen Beweis meiner Achtung für Eure 
Anhänglichkeit an dasselbe erhalten. Ihr werdet meiner Monarchie ein— 
verleibt ohne Eure Nationalität verleugnen zu dürfen.“ Auch diese Worte 
erhielten, wie in der Vorberatung beim Staatskanzler ausdrücklich zu 
Protokoll erklärt wurde, in keiner Weise die Anerkennung einer Sonder— 
stellung der Provinz. Um die besiegte Nation zu ehren gewährte der König 
dem Großherzogtum — als einzige Auszeichnung vor den andern Pro— 
vinzen — ein besonderes Wappen, den weißen Adler im Herzschilde des 
preußischen, und einen Statthalter aus jagellonischem Blute, den Fürsten 
Anton Radziwill. Die Leitung der Verwaltung blieb jedoch wie in den 
übrigen Provinzen ausschließlich dem Oberpräsidenten vorbehalten; der 
Statthalter war nur befugt über den Gang der Geschäfte Auskunft zu 
verlangen, die Wünsche der Einwohner entgegenzunehmen und sie über 
die Absichten des Monarchen aufzuklären. Bei der Huldigung am 3. Aug. 
1815 warnte Fürst Radziwill seine Landsleute nachdrücklich vor gefährlichen 
Täuschungen und versprach ihnen vollen Anteil an der bürgerlichen Frei- 
heit, welche Preußen allen seinen Untertanen gewähre, auch Schonung 
ihrer „Eigentümlichkeiten“ in Sprache, Sitte und Gewohnheit, aber 
keinerlei Sonderrechte. 
Die neue Provinz umfaßte die Kernlande des alten Großpolens. Hier 
in der vielbesungenen Siebenhügelstadt Gnesen hatte einst der weiße Adler 
gehorstet, hier lagen mehrere der teuersten Heiligtümer der polnischen 
Geschichte, das Adelbertsgrab in Gnesen und die Wallfahrtskirche von 
Tremessen, und von jeher war der Adel Großpolens durch die Wärme 
seines Nationalstolzes berühmt. Die Polen hatten unter allen Vasallen 
Frankreichs am längsten, bis zu der Schlacht auf dem Montmartre bei 
Napoleon ausgehalten. Während der hundert Tage eilten die Deutschen 
der Provinz mit hellem Jubel zu den Fahnen, der Posener Adel aber 
trat sofort in geheimen Verkehr mit den Tuilerien, und die Behörden 
mußten daran erinnern, daß das Gesetz den Landesverrat mit dem Tode 
bedrohe.) Nach dem zweiten Sturze des Imperators richteten die Unzu- 
friedenen ihre hoffenden Blicke auf das nahe Königreich Polen und seine 
neue Verfassung; die geheimen Sendboten der Warschauer Patrioten 
schürten die Flamme der nationalen Propaganda um so eifriger, da sie 
die Überlegenheit der preußischen Verwaltung kannten und ernstlich be- 
  
*) Zerbonis Bericht an den Staatskanzler, 21. Juni 1815.
	        
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