246 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
fürchteten, die Provinz könne durch ihren aufblühenden Wohlstand dem
Mutterlande entfremdet werden. Nach Jahren noch tauchte immer wieder
das Gerücht auf, der König denke die Provinz freiwillig an Polen zurückzu—
geben; immer wieder schwebte ein glückverheißender Glorienschein um das
Haupt der Mutter Polens, der heiligen Jungfrau in der Posener Karme—
literkirche. Die Treue der polnischen Beamten erschien, nach dem großen
Abfall von 1806, überaus zweifelhaft, und der Oberpräsident Zerboni riet
dem Staatskanzler alles Ernstes, ihnen einen Revers abzufordern, kraft
dessen sie sich selber für Verräter an ihrer Nation erklären sollten falls
sie ihren Diensteid brächen. Hardenberg aber lehnte den Vorschlag ab, weil
die zweifache Verpflichtung den Gewissenlosen doch nicht zurückhalten würde.
Nach kurzer Zeit schon fühlte sich der Statthalter sehr unglücklich in
seinem glänzenden und doch wenig einflußreichen Amte. Ein schöner Mann,
geistreich, hochherzig, ritterlich, vereinigte er mit jener leichten geselligen
Anmut, die den polnischen Edelmann auszeichnet, die gediegene deutsche
Bildung: sein gastfreies Haus war fast das einzige des hohen Adels in
Berlin, wo sich die vornehme Welt mit den Künstlern und Gelehrten zu—
sammenfand, die Musiker bewunderten sein seelenvolles Spiel und die
sinnige Romantik seiner Kompositionen. Die Radziwills waren seit zwei
Jahrhunderten mit den Hohenzollern mehrfach verschwägert, Fürst Anton
selbst hatte sich mit der liebenswürdigen Prinzessin Luise von Preußen ver—
mählt und stand dem Könige persönlich nahe. Doch er blieb Pole und
setzte die Treue, die ihn selbst erfüllte, arglos bei seinem Volke voraus.
„Ich stehe Ihnen dafür“ — schrieb er nach der Huldigung an Harden—
berg — „daß diese Provinz mit denen, welche seit Jahrhunderten dem Zepter
Sr. Majestät unterworfen sind, in Liebe wetteifern wird.“ Hatte doch
der Kanonikus Kawiecki in seiner Festpredigt so rührsam von dem Jagel—
lonenblute der Hohenzollern gesprochen und der Adel so brünstig ver—
sichert: „schwere Erfahrungen haben uns gereift!“ Durch ein „System
der Nationalität“, durch liebevolles Eingehen auf alle Wünsche der Polen
hoffte der Fürst die Provinz am sichersten für Preußen zu gewinnen; indes
ward er bald irr an diesen Plänen, als Gneisenau ihn warnte und er
allmählich selbst bemerkte, wie mißtrauisch und hinterhaltig seine eigenen
Landsleute ihm begegneten.)) Auch der Oberpräsident Zerboni di Sposetti
gelangte niemals zu einer festen Haltung den Polen gegenüber. Der
geistreiche, leicht erregte Feuerkopf hatte in seinen jungen Tagen mit Hans
von Held und Knesebeck für die Ideale der Revolution geschwärmt; er war
noch immer ein erklärter Liberaler, dem Staatskanzler unbedingt ergeben,
und meinte sich verpflichtet die von der liberalen Welt gebrandmarkte
Teilung Polens durch nachsichtige Milde zu sühnen. Im russischen Polen
begütert hatte er auch persönlich manche Rücksichten zu nehmen. Zuweilen
*. Radziwill an Hardenberg, 9. Aug. 1815. Royer an Gneisenau, 10. Mai 1817.