Brandenburg. Berlin. 257
selber mit dem Hofe einen Rundgang durch die bunte Gesellschaft hielt;
der Eintrittspreis, 1 Tlr. 16 Gr., war allerdings der großen Mehrzahl
ganz unerschwinglich. Von Politik ward außerhalb der Kreise der Stu—
denten und Turner selten gesprochen. Die wenigen politischen Schriften,
welche nach dem Verstummen der Schmalzischen Fehde noch in Berlin
erschienen, bekundeten nur zu deutlich, daß weder die Begeisterung des
Krieges noch die schöpferische Wissenschaft der neuen Universität den Geist
Nicolais von diesem seinem Heimatboden ganz hatte verdrängen können.
Buchholz tummelte sich noch mit gewohnter Selbstgefälligkeit auf den Ge—
meinplätzen der liberalen Aufklärung, und J. von Voß erregte die gerechte
Erbitterung der neuen Provinzen durch das „Sendschreiben eines Branden—
burgers an die Rheinländer“. Hier sprach es wieder, das vorlaute, an—
maßende Berlinertum von 1806. Von oben herab erteilte der „im
Herzen des Landes Geborene“ den Rheinländern seine Ratschläge und
kündigte ihnen an, das gebildete Berlin werde mit ihrem „ungemeinen
Aberglauben“ schon fertig werden — bis Rehfues in Bonn seine schon oft
im Kampf gegen den Bonapartismus bewährte Feder einsetzte und unter
dem Jubel der Rheinländer der Berliner Weisheit heimleuchtete.
Erst seit Giovanoli im Jahre 1818 seine Konditorei eröffnete, Sparg-
napani und andere Engadiner dem Beispiele folgten, gewöhnte sich die ge-
bildete Welt an die Zeitungen. Dort in den dunklen Lesezimmern ent-
spannen sich zuweilen politische Debatten, freilich erschienen die aufgeregten
auswärtigen Blätter noch weit anziehender als die zahme Langeweile
der preußischen. Großstädtisches Gedränge zeigte sich fast allein in den
engen Gassen der inneren Stadt; die grünen Gendarmen behielten voll-
auf Zeit, jeden Frevler, der auf der Straße rauchte, unerbittlich einzu-
fangen, und wenn der heiße Sommermittag auf die stillen geraden Häuser-
zeilen der Friedrichsstadt herniederbrannte, dann meinte man sie schnarchen
zu hören — so hieß es draußen im Reiche, wo der Spott über Berlin
immer willige Hörer fand. Nach dem zweiten Frieden stellte ein ver-
wegener Unternehmer 32 echte Warschauer Droschken auf den öffentlichen
Plätzen auf, und die Gelehrten von Voß und Spener stritten sich leb-
haft über die Frage, woher die vielen Menschen zur Benutzung dieses
Wagenparks kommen sollten; vor kurzem war erst ein ähnliches Unter-
nehmen gescheitert, diesmal aber gelang das Wagnis. Den Briefverkehr
in der Stadt vermittelte die „löbliche Kaufmannsgilde von der Material-
handlung“; in ihren Kramläden wurden die Stadtbriefe gesammelt, mit
mächtigen Klingeln in der Hand zogen ihre Boten durch die Straßen.
Die Masse der Bürgerschaft nahm an dem regen geistigen Leben der
höheren Gesellschaft wenig Anteil, sie blickte mit Mißtrauen auf die
Neuerungen der Gesetzgebung und verharrte zähe bei ihren schlichten klein-
städtischen Sitten. Sehr langsam, erst nach dem Kriege, verwischte sich der
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 17