260 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
behutsam schonte und ihm auch die Pfründen der reichen Domstifter Naum—
burg und Merseburg beließ, so fühlte er doch, daß er in Sachsen der
Herr gewesen und jetzt lernen mußte in den Kreis der Untertanen hinab—
zusteigen. Er gewöhnte sich so schwer an das monarchische Regiment, daß
der Oberpräsident Bülow im Staatsrate dringend riet die neuen Steuer—
gesetze nicht ohne Genehmigung der sächsischen Stände zu erlassen: „sonst
würde vielleicht auf immer das leider noch wenig begründete Vertrauen
der Bewohner verscherzt.“ Auch die Beamten klagten bitterlich über den
strengen preußischen Dienst, zumal die Richter, die bisher in allen schwie—
rigen Fällen die bequeme Hintertür der Aktenversendung benutzt hatten
und jetzt gezwungen wurden selber Recht zu sprechen; manche, die sich be—
einträchtigt glaubten, kehrten wieder in die behagliche alte Heimat zurück.)
Selbst die Einsichtigen zeigten überall jene gemütliche Vorliebe für das
Althergebrachte, welche trotz allem Lärm der liberalen Schriftsteller die
eigentliche Gesinnung der Deutschen blieb. Wie viele Kämpfe mußte Johannes
Schulze mit dem Rektor von Schulpforta, dem trefflichen Ilgen bestehen
bis er endlich durchsetzte, daß die alte Fürstenschule sich der preußischen
Prüfungsordnung fügte und die städtischen Freistellen nicht mehr nach
Gunst und Laune der berechtigten Stadträte besetzt wurden.
Der Oberpräsident Friedrich von Bülow war für dies Land der Adels-
herrlichkeit ausersehen worden, weil er ähnliche Verhältnisse noch von seiner
hannöverschen Dienstzeit her kannte und schon vor Jahren in einer scharfen
Schrift wider seinen Landsmann Rehberg bewiesen hatte, wie richtig er
die Überlegenheit der monarchischen Verwaltung gegenüber der altstän-
dischen zu schätzen wußte. In seiner neuen Heimat hatte er sich die An-
schauungen des fridericianischen Beamtentums so gänzlich angeeignet, daß
er beim Beginn der Unionsbewegung für nötig hielt nochmals als Schrift-
steller aufzutreten und die Krone vor den Gefahren einer unabhängigen
Synodalkirche zu warnen. Doch verfuhr er stets wohlwollend und be-
dachtsam und kam selbst mit dem sächsischen Adel leidlich aus. Rücksichts-
loser trat der Merseburger Regierungspräsident Schönberg auf, ein säch-
sischer Edelmann, der seit Jahren voll Unmuts die Mißbräuche der
adligen Vetternherrschaft beobachtet hatte und jetzt mit Freuden daran
ging, die Grundsätze moderner Rechtsgleichheit in dies Chaos einzuführen.
Eine liebenswürdige Natur von sprudelnder Laune und derber Lebenslust
genoß er im Volke allgemeiner Gunst; seine Standesgenossen haßten ihn
als den Vertreter des „demokratischen Beamtengeistes“. Weitaus der
tüchtigste unter den Organisatoren der neuen Provinz war doch der Vize-
präsident Motz, der, wenig belästigt von seinem Vorgesetzten, einem alten
Diplomaten Grafen Keller, den neuen Regierungsbezirk Erfurt verwaltete.
*) Bülows Votum über die Steuervorlagen im Staatsrate, 23. Mai 1817. Bülow
an Hardenberg, 9. März, Kircheisen an Hardenberg, 2. Juni 1816.