Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

L. v. Vincke. 263 
schränkte Teilbarkeit der Landgüter und die radikale Aufhebung der Zünfte. 
Aber seinen aristokratischen Neigungen hielt die streng monarchische Ge— 
sinnung des Beamten stets die Wage; von altständischen Rechten, welche 
die Einheit des Staatswillens gefährden könnten, wollte er nichts hören. 
Die Patrimonialgerichte verwarf er als ein, großes Argernis", die ge- 
plagten Untertanen der Mediatisierten fanden bei ihm und seinem Re- 
gierungsdirektor Keßler, einem erklärten Liberalen, jederzeit treuen Schutz, 
und obgleich er in Berlin oft zu schonender Behandlung der Katholiken 
mahnte, so trat er doch jeder Überhebung der Hierarchie mit rücksichts- 
loser Strenge entgegen. Wenn der König mit jungen Referendaren sprach, 
so pflegte er ihnen den Westfälischen Oberpräsidenten als das Muster 
der Pflichttreue vorzuhalten; denn unter allen den unermüdlichen Arbeitern 
dieses Beamtentums war Vincke der fleißigste. Wie oft sahen ihn die 
Münsterer um Mittag im Sturmschritt nach Hause eilen, wo er dann 
rasch sein einfaches Mahl verzehrte und sogleich wieder in die geliebten 
Akten versank. Und doch verachtete dieser gefürchtete Nummerntöter aus 
Herzensgrunde die Weisheit des grünen Tisches. All sein Wissen war 
erwandert und erlebt; überall im Lande war er zu Haus, in den Hau- 
bergen und Wiesengründen des Siegener Landes, in den Eisenwerken der 
Grasschaft Mark und den einsamen Bauernhöfen der münsterschen Heiden. 
Im blauen Kittel, die Pfeise im Munde, den Knotenstock in der Hand, 
zog der ungestüme kleine Mann mit dem klugen Kindergesichte oft meilen- 
weit über Land um bei seinen lieben Bauern nach dem Rechten zu sehen. 
In der ersten Zeit widerfuhr es ihm einmal, daß eine Bauerfrau, die 
er am Butterfasse traf, „dat Jüngesken“ derweilen weiter buttern hieß, 
bis sie den Schulzen draußen zwischen den Wallhecken auf dem Felde auf- 
gefunden hätte; in späteren Jahren kannte jedes Kind den Vater West- 
falens. 
Das Rheinland ausgenommen ist keine andere deutsche Landschaft 
durch die Volkswirtschaft des neuen Jahrhunderts so von Grund aus 
neu gestaltet worden, wie dies Westfalen, das beim Beginne der Friedens- 
jahre noch übel berüchtigt war als ein ödes, unwirtliches Land von großen 
Erinnerungen und armseliger Gegenwart. In dem mächtigen Soest, das 
einst seine herrischen Aldermänner bis nach Gotland gesendet und den 
meisten Städten Niederdeutschlands sein Stadtrecht geschenkt hatte, hauste 
jetzt ein armes Völkchen kleiner Ackerbürger zwischen den Trümmern der 
alten Prachtbauten. Stadtberge, die ehrwürdige Sachsenfeste Eresburg, war 
fast verschwunden, nur die Rolandssäule, der Pranger und zwei verfallene 
Kirchen schauten noch vom hohen Bergkegel auf das Diemeltal herab; und 
dicht vor dem Tore der stolzen Hansestadt Dortmund lag der Freistuhl 
des Vehmgerichts unter den alten Linden so einsam und weltverlassen, daß 
der Freigraf jetzt am hellen Tage das nackte Schwert und die Weiden- 
schlinge auf den Steintisch hätte legen können. Nur in den altpreußischen
	        
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