266 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
erschien sie oft hart, verbissen, fanatisch, und zu allermeist hier in Münster,
wo die eisernen Käfige mit den Gebeinen der Wiedertäufer noch am Lam—
bertiturme hingen und das bekehrte Volk täglich an die gräulichsten
Sünden der Ketzerei erinnerten. Grollend rechnete man nach: unter den
Ministern sei kein einziger Katholik, unter den Oberpräsidenten nur einer,
Zerboni, unter den Generalen höchstens zwei oder drei, wo bleibe da die
Parität? Das Mißtverhältnis erklärte sich leicht, da von den höheren
Beamten, welche der Eroberer in den neuen Provinzen vorgefunden, nur
sehr wenige in den preußischen Dienst übergetreten waren. Aber auch
späterhin blieb die Zahl der Katholiken im Zivildienst und vornehmlich
im Offizierskorps unverhältnismäßig gering; denn die Polen hielten sich
dem Beamtenstande fern, das gebildete Bürgertum der gewerbfleißigen
Westprovinzen erzog seine Kinder häufiger als im Osten üblich war für
die wirtschaftlichen Berufe, auch der katholische Adel des Westens ging
selten in den Staatsdienst. Am seltensten sicherlich die alten Geschlechter
des Münsterlandes, denen der österreichische Kriegsdienst noch immer vor-
nehmer schien als der heimische; sie saßen schmollend auf ihren Gütern,
nur unter sich und mit dem Klerus verkehrend, und auch wenn sie zur
Winterszeit in die Provinzialhauptstadt Münster zogen, blieben ihre Paläste
den Offizieren und den Beamten fast unzugänglich.
Große Schwierigkeiten bot auch das anspruchsvolle Wesen der zahl-
reichen mediatisierten Fürsten, die allein im Regierungsbezirk Münster die
volle Hälfte des Bodens besaßen. Manche von ihnen, die Arenberg, die
Looz, die Croy, waren Belgier und erwiesen dem deutschen Staate eine
gesuchte Mißachtung; aber auch die deutschen zeigten sich oft als harte
Herren. Jahrelang stritt sich die Arnsberger Regierung mit den Fürsten
des Hauses Sayn um dem armen Wittgensteiner Völkchen die Lasten seiner
zweifachen Untertanenschaft etwas zu erleichtern; denn die Regierungen
fühlten sich alle stolz als Beschützer der kleinen Leute, sie rühmten, wie
der wackere Keßler einst gegen Beyme aussprach, daß ihnen durch die freie
kollegialische Beratung „eine Art von volkstümlichem Charakter gegeben“
sei.) Diesem Beamtentum war es auch zu verdanken, daß einige heilsame
Neuerungen der Fremdherrschaft, die mit dem preußischen Landrecht nicht
im Einklang standen, dem Lande zum Teil erhalten blieben. Die guts-
herrliche Polizei wurde bloß in den Gebieten der Mediatisierten und des
reichsunmittelbaren Adels wieder eingeführt, und die Grundherren ver-
mißten sie nicht. So gründlich war die feudale Gesellschaftsordnung hier
im Westen schon zerstört. —
Unter allen Arbeiten der preußischen Verwaltung ward keine für die
Nation so fruchtbar wie die stille mühevolle Tätigkeit, welche die beiden
rheinischen Provinzen dem deutschen Leben zurückgewann. Wie zuversichtlich
*) Keßler, Denkschrift die Einführung einer ständischen Verfassung betreffend, Münster
12. April 1818.