Klagen der Rheinländer. 271
schrift des liberalen Publizisten J. Weitzel erklärte dem Staatskanzler mit
naivem Selbstgefühl: die Gerechtigkeit fordert, daß jeder von Seines—
gleichen gerichtet werde; am Rhein ist diese Wahrheit bereits allgemein
anerkannt, „weil es hier eine öffentliche Meinung unter aufgeklärten Men—
schen gibt“, daher dürfen im Rheinlande nur bürgerliche Beamte wirken.
Gleichwohl kamen Fälle der Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit jetzt un-
gleich seltener vor als unter der französischen Regierung, die doch den
Ungehorsam weit strenger bestrafte als das preußische Gesetz. Mochte
man beim Schoppen über die steifen Preußen klagen, denen die liebens-
würdige rheinische Kunst des Lebens und Lebenlassens noch so fremd war:
die Natur forderte doch ihr Recht, im Stillen tat es diesen deutschen
Menschen doch wohl, daß sie mit ihren Beamten wieder in der Mutter-
sprache reden konnten. Unter dem Krummstabe wie unter den Präfekten
glaubte alle Welt, jedes Gesetz könne durch List oder Gunst umgangen
werden. Bequem war es nicht, daß die Rheinländer diese Meinung jetzt
aufgeben und der Majestät des Rechts sich beugen mußten; aber die
makellose Rechtschaffenheit des Beamtentums und seine trotz vereinzelter
Mißgriffe unbestreitbare Einsicht erzwangen sich endlich die Achtung des
Volks. Unter vier Augen hörte man schon zuweilen das halb widerwillige
Geständnis: „herb ist der Preuß, aber gerecht.“ Offentlich durfte der
Preuße freilich nicht gelobt werden.
Die Unzufriedenheit galt gleichsam als das Stammesvorrecht des
echten Rheinländers, und sie ward beständig genährt durch die Klagen über
den unerhörten Steuerdruck. Die Kirchenzehnten hatte das gläubige Volk
der Krummstabslande willig entrichtet, weil jeder dadurch mit dem Himmel
abrechnete; die französischen Steuern galten als Kriegslasten, man zahlte
schweigend weil man mußte. Dem protestantischen Könige aber zählte man
jeden Bissen am Munde nach, und den meisten erschien es noch wie eine
Uberhebung, daß der weltliche Arm in Friedenszeiten Abgaben forderte. Als
nun gar unbestimmte Gerüchte von der Grundsteuerfreiheit der altländischen
Rittergüter an den Rhein drangen, da wuchs der Groll, und ein Menschen-
alter hindurch glaubten fast alle Rheinländer unerschütterlich, ihr Land
werde zum Vorteil des Ostens ausgebeutet. In Wahrheit befolgte Harden-
berg den Grundsatz, die schwierige Provinz durch Milde zu gewinnen. In
scharfen Worten befahl der König den Behörden, bei der Eintreibung rück-
ständiger Zahlungen Nachsicht zu zeigen, damit nicht um eines Geldge-
winnes willen „die vertrauende Anhänglichkeit“ des Volks verscherzt werde.)
Während der ersten Jahre erfreuten sich die Rheinländer im Steuerwesen
offenbarer Begünstigung; denn stand die Grundsteuer hier etwas höher
als im Osten, so blieb man dafür, nach Aufhebung der droits réunis,
von indirekten Abgaben fast ganz befreit. Auch als die neuen Zoll= und
*) Kabinettsordre an Sack, 14. Septbr. 1815.