Der rheinische Adel. 273
rheinische Freiheit, und wer nur auf die losen Worte der Schoppenstecher
hörte mochte leicht an dem Lande verzweifeln. Als der treffliche Land—
wirt Schwerz im Auftrage der Regierung die rheinischen Landgüter be—
reiste, vernahm er in seiner Vaterstadt Koblenz eine solche Fülle von
Zornreden, daß er dem Staatskanzler gestand: „kein Mensch ist mehr
hier, der nicht Gott auf den Knieen danken würde, wenn das Land wieder
unter französischer Botmäßigkeit stünde.“ Andere wohlmeinende Beobachter
verglichen die Provinz einem Vulkane, der jederzeit ausbrechen könne.)
Erschreckt durch so düstere Berichte glaubte Hardenberg eine Zeitlang
ernstlich an einen möglichen Abfall. In Wahrheit wurde die Wiederver-
einigung mit Frankreich nur von einer kleinen Minderheit am Rhein auf-
richtig gewünscht. Die Rheinländer wußten wohl wie kräftig ihr Wohl-
stand jetzt wieder aufwuchs, und dies Band der wirtschaftlichen Interessen
erwies sich stärker als die französischen Sympathien. Von geheimen Ver-
schwörungen stand hier ohnehin nichts zu fürchten; dafür bürgte die beste
Tugend des rheinfränkischen Volks, sein offenherziger Gradsinn. Das
Tadeln und Schelten freilich über „die Revolution“, wie man den neuen
Herrschaftswechsel nannte, nahm in den nächsten Jahren stets zu. Denn
das ältere Geschlecht kannte noch aus Erfahrung die Plünderungen der
republikanischen Löffelgarde; die Jungen aber, die jetzt heranwuchsen, hatten
einst im Lyzeum am Napoleonstage und am Austerlitztage die Festreden
auf die Glorie der weltbeherrschenden Trikolore mit angehört, sie hatten
in den Jahren, welche der Mehrzahl der Menschen das Leben bestimmen,
den großen Kaiser gesehen, wie er in der Poppelsdorfer Allee seine präch-
tigen Kürassiere musterte. Und da nun der Liberalismus überall die fran-
zösische Freiheit wieder zu bewundern begann, so prunkte gerade dies Ge-
schlecht, das in den zwanziger und dreißiger Jahren die Stimmung am
Rhein beherrschte, gern mit seiner französischen Bildung; der welsche
Befehl „Dutzwitt“ klang ihm vornehmer als das deutsche „rasch“, die
Landsmannschaften der Rhenanen auf den westdeutschen Universitäten
trugen allesamt die französischen Farben und die alten landläufigen Ge-
schichten von den Schandtaten der Sansculotten wurden jetzt den Ko-
saken nachgesagt.
Das Mißtrauen der Provinz gegen die Regierung fand stets neue
Nahrung an den Sonderbestrebungen der rheinischen Ritterschaft. Nir-
gends im Reiche hatte der Adel schwerere Einbußen erlitten. Vor einem
Menschenalter beherrschte er noch das Land durch seine Domkapitel, fast
zwei Drittel des Bodens gehörten der Ritterschaft und der Kirche. Jetzt war
der Großgrundbesitz so vollständig vernichtet, daß ein Gut von 50 Morgen
schon zu den großen Gütern gerechnet wurde. Im trierschen Regierungs-
*) Regierungsrat Schwerz an Hardenberg, Koblenz August 1816. Bericht eines
kölnischen Grundbesitzers an Klewitz, Januar 1817. Oberstlint. v. Romberg an den
Staatskanzler, 24. August 1817 usw.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 18