Die alten Provinzialstände. 283
Das Ständewesen der alten Provinzen erschien immerhin noch wohl
geordnet neben den chaotischen Zuständen der neu erworbenen Landes—
teile. Wie war Schwedisch-Pommern stolz auf „unsere alte Verfassung“;
nur schade, daß niemand wußte, was darunter zu verstehen sei. Die alte
Landschaft „der Kreise und Städte“ Vorpommerns war schon 1806 durch
König Gustav IV. Adolf aufgehoben und an ihrer Statt die schwedische
Verfassung mit ihren vier Ständen eingeführt worden — unter dem
Jubel der Bauern, die jetzt endlich eine Vertretung fanden. Vier Jahre
darauf brachte ein abermaliger Gewaltstreich der Krone Schweden eine
neue Verfassung, die aber niemals ins Leben trat. Der vorpommersche
Patriot konnte also nach Belieben für drei verschiedene vaterländische Ver—
fassungen sich begeistern. In der Tat gebärdeten sich „Kreise und Städte“,
als sei gar nichts vorgefallen in diesen neun Jahren, sie traten als die
rechtmäßige Vertretung des Landes auf und bestürmten den König mit
ihren Beschwerden. Die Bauern und Pächter aber — an ihrer Spitze
die beiden unermüdlichen Ludwig Arndt und Christ. Lüders — verwahrten
sich dawider: sie hätten die Verfassung von 1806 beschworen, könnten nur
diese als zu Recht bestehend ansehen.)
In Posen bestand noch ein Deputiertenrat, das will sagen: ein Ge-
neralrat im napoleonischen Stile. Da diese Versammlung von der War-
schauer Regierung ernannt war und überdies nur einen Bestandteil des
aufgehobenen Präfektursystems bildete, so wurde sie von Preußen, mit
vollem Rechte, nicht als ein ständischer Körper angesehen und am 26. Aug.
1818 aufgehoben.
Eine unglaubliche Verwilderung ständischer Anarchie stellte sich in
Sachsen heraus — ein Zustand, wovon Hardenberg offenbar gar nichts
ahnte, als er die Verordnung vom 22. Mai entwarf. Jeder der sieben
Teile des Herzogtums Sachsen besaß seine eigene Ständeversammlung,
und da das Stilleben des Junkertums hier niemals durch die strenge
Hand eines starken Königtums gestört wurde, so schloß sich die ständische
Oligarchie durch peinliche Ahnenproben von dem Pöbel ab; noch unlängst
hatte König Friedrich August einen Grafen von jungem Adel zurückge-
wiesen von der heiligen Schwelle der Lausitzer Stände. Man hielt in
diesen Kreisen für selbstverständlich, daß den an Preußen gekommenen
Stücken der sächsischen Erblande noch alle die Rechte zuständen, welche der
Landtag des Königreichs Sachsen besessen, und verlangte sogar ein abge-
sondertes Staatsschuldenwesen zu behalten. Als der Staatskanzler in der
Niederlausitz, die jetzt nur noch einen Bruchteil der neuen Provinz Bran-
denburg bildete, den alten Landtag vorderhand nicht einberufen wollte,
da erwiderten die Stände der Landschaft: „Der Inhalt dieser Verord-
nung, die mit wenigen inhaltsschweren Worten uns alles nimmt, was
*) Eingabe vom 20. Juli 1816.