320 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
Überaus eifrig als Soldat, ein Verwaltungsmann von sicherem
Blick und großer Arbeitsamkeit, ein trefflicher Landwirt und ausge-
zeichneter Pferdezüchter, in seinen Lebensgewohnheiten einfach, geregelt und,
obwohl keineswegs sittenstreng, doch frei von der Schamlosigkeit des Vaters
— so war der neue König allen den praktischen Geschäften des Lebens,
welche durch Klugheit und Energie bewältigt werden können, vollauf ge-
wachsen. Was darüber hinaus liegt war seinem Geiste verschlossen. Die
Kirche betrachtete er gleich seinem Vater mit dem Spotte des Voltairianers,
nur daß ihm die Religion unentbehrlich schien um den dummen Haufen
in Zucht zu halten; die „Ideologie“ der freien Wissenschaft blieb ihm ein
unbequemes Rätsel, halb lächerlich, halb furchtbar, wie er denn auch als
ein echter rheinbündischer Berufssoldat den freien Geist des preußischen
Heeres nie verstehen lernte; seine Kunstliebe endlich erhob sich, gleich dem
Mäcenatentum vieler anderer Kleinfürsten, niemals über jene Bildungs-
stufe, welche das Ideal allein in nackten Weibergestalten findet. Ein solcher
Mann, zu unruhig für das Stilleben eines Kleinstaats und doch zu
selbstisch um die Hohlheit einer Souveränität ohne Macht einzusehen,
konnte in die verschlungenen Fäden der deutschen Bundespolitik nur einige
hemmende Knoten mehr einknüpfen; dem gemütvollen Tiefsinn der schwä-
bischen Volksnatur blieb er innerlich ebenso fremd wie einst König Friedrich.
Der herkömmliche Jubel der ersten Wochen verrauschte schnell. In einer
langen Regierung wurde der König, trotz seiner unbestreitbaren Verdienste
um den Wohlstand des Landes, nie wieder wahrhaft volksbeliebt; man
konnte sich kein Herz zu ihm fassen und lernte auch bald den häßlichsten
Zug seines Charakters fürchten, die nachtragende Unversöhnlichkeit.
Das neue Regiment begann sofort mit dankenswerten Reformen:
der tolle Prunk und der Jagdunfug des Hofes wurden beseitigt, mehrere
Steuern herabgesetzt, zahlreiche Gefangene begnadigt, einige Günstlinge
des verstorbenen Fürsten in der Stille entfernt. Während der Hungers-
not der nächsten Monate bewährte die Königin ihre männliche Willens-
kraft im weiblichsten Berufe; treu ihrem Ausspruch: „helfen ist der hohe
Beruf des Weibes in der Gesellschaft“ überspannte sie das ganze Land
mit einem Netze von Frauenvereinen, Sparkassen, gemeinnützigen Stif-
tungen aller Art und zeigte sich bei diesem Liebeswerke so menschlich groß,
daß bald nachher ihr früher Tod in jedem Dorfe Schwabens wie ein
Landesunglück beweint wurde. Selbst Uhland, der Verächter der Höfe, legte
der Volksmutter einen duftigen Kranz auf den Sarg, und Kerner klagte:
Wie sie früh von Gott erlesen,
Eine Heil'ge, uns verschwand.
Auf der Höhe, wo einst die Stammburg des Fürstenhauses gestanden
hatte, fand die hochherzige Fürstin ihr Grab, und die Württemberger wall-
fahrteten zu der Kapelle des Rothenbergs mit ähnlichen Empfindungen
wie die Preußen zu dem Charlottenburger Tempel.