Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Montgelas' Reformen. 337 
Weit unfertiger erschien die Neugestaltung der Rechtspflege und der 
Verwaltung. Allerdings ward das Gewirr der alten Territorien zu napo— 
leonischen Departements zusammengeballt, und die Beamten erhielten 
durch eine verständige Dienstpragmatik eine ebenso gesicherte Stellung 
wie die preußischen; doch in der untersten Instanz blieben Justiz und 
Verwaltung vereinigt, und der Schrecken der Bauern, „Gnaden Herr 
Landrichter" hauste auf dem flachen Lande mit schrankenloser Gewalt. 
Auf den großen Landgütern bestanden noch die Patrimonialgerichte, und 
nicht selten geschah es, daß der Staat seine eigenen Grundholden an 
begünstigte Edelleute abtrat um diesen die Bildung selbständiger Gerichts- 
bezirke zu ermöglichen. Das Evangelium der Bureaukratie, das Straf- 
gesetzbuch von 1813, gereichte dem juristischen Scharfsinn seines Verfassers 
Feuerbach zur Ehre; aber das heimliche Verfahren und die überstrengen 
Strafen nährten den Geist herrschsüchtiger Härte, der dies Beantentum 
auszeichnete; vornehmlich die barbarischen Zwangsmittel gegen hartnäckig 
leugnende Angeklagte wurden von den Landrichtern oft mit empörender 
Roheit gehandhabt. Dazu die Späherkünste und die Brieferbrechungen 
der ganz nach napoleonischem Muster geschulten geheimen Polizei. Der 
Druck der Beamten lastete um so schwerer, da Montgelas die Selbstän- 
digkeit der Gemeinden noch vollständiger vernichtet hatte als der erste 
Konsul. Welch ein Abstand zwischen der Städteordnung Steins und 
dem fast gleichzeitig verkündigten bayrischen Gemeindegesetze: hier war 
den Munizipalitäten sogar die Verwaltung ihres Vermögens genommen, 
schlechterdings nichts durften sie beschließen ohne Genehmigung des könig- 
lichen Polizeibeamten. Obgleich die neuen Steuergesetze sich gut bewähr- 
ten, so herrschten doch in der Finanzverwaltung Verwirrung und Unter- 
schleif, der Minister selbst arbeitete viel aber mit der Unregelmäßigkeit des 
großen Herrn. Für die Jahre 1812—17 ergab sich ein Defizit von 
8,t Mill. Fl., und den wirklichen Betrag der hohen Staatsschuld kannte 
niemand. 
Dies Alles war für die Massen des Volks noch erträglicher als die 
völlig verunglückten wirtschaftlichen Reformversuche des Ministers. Hier 
zeigte sich erst, wie weit die Begabung Montgelas“ hinter der staats- 
männischen Kraft Steins und Hardenbergs zurückstand. Die soziale 
Freiheit hatte durch alle die gewaltsamen Neuerungen und pomphaften 
Verheißungen dieser fünfzehn Jahre nahezu nichts gewonnen. Nur die 
Leibeigenschaft war beseitigt, aber die lückenhaften Gesetze über die Ab- 
lösung der Zinsen und Zehnten gelangten nicht zur Ausführung, neun 
Zehntel der Bauern blieben noch zinspflichtige Grundholden. Das alte 
Zunftwesen, das nirgendwo ärger entartet war, als in Altbayern, sollte 
durch die Einführung polizeilicher Gewerbscheine verdrängt werden, und 
mit der landesüblichen Ruhmredigkeit verkündete der Gesetzgeber, daß er 
den alten deutschen Grundsatz „Kunst erbt nicht“ wieder zu Ehren bringen 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 22
	        
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